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Claudia Willmitzer im Interview

Claudia Willmitzer: Jaffna in Sri Lanka

Die Fotografin Claudia Willmitzer lebt in Nürnberg. Auf ihren Reisen nach Asien und in den Nahen Osten fotografiert und dokumentiert sie das Leben der Menschen vor Ort.

Bereits im September habe ich mit Claudia ein Interview geführt und es auch teilweise veröffentlicht. Claudia reiste dann im Oktober für ursprünglich einen Monat in den Iran. Aufgrund der unsicheren Situation haben wir uns wenige Tage später entschieden, das Interview wieder aus dem Internetz zu nehmen, um ihre Arbeit vor Ort nicht zu gefährden.

Claudia ist jetzt wieder zurück im winterlichen Nürnberg (nach zweieinhalb Monaten Iran) und hat ihr Projekt im Iran erfolgreich beendet.

Es wird selbstverständlich auch eine Dokumentation dazu auf Kunstnürnberg geben. Aber bevor es soweit ist, gibt es jetzt erstmal das komplette und ungekürzte Interview vom Oktober!

Interview mit der Fotografin Claudia Willmitzer

 

Claudia Willmitzer: Jaffna in Sri Lanka

Claudia Willmitzer: Jaffna in Sri Lanka

 

Kunstnürnberg: Wie bist du zur Fotografie gekommen?

Claudia Willmitzer: Das war bei mir familiär bedingt. Mein Großvater und auch mein Vater haben schon fotografiert. Bereits in meiner Jugend habe ich über sie den Zugang zur Fotografie gefunden.

Kunstnürnberg: Hast du eine Kamera geschenkt bekommen?

Claudia Willmitzer: Genau. Die erste Kamera war zeitgemäß eine analoge Kamera. Mit ihr habe ich mein Handwerk quasi von der Pike auf gelernt.

Claudia Willmitzer

Claudia Willmitzer

Kunstnürnberg: Als du für Kunstnürnberg die Fototour für das anstehende E-book gemacht hast, ist mir aufgefallen, dass du keine digitale Spiegelreflexkamera von Canon oder Nikon verwendest, wie sie heute viele Fotografen benutzen.

Claudia Willmitzer: Ich habe mit verschiedenen Kameras gearbeitet. Da ich aus der analogen Fotografie komme, ist es mir wichtig mit der digitalen Fotografie so nah und minimalistisch wie möglich an das Analoge heranzukommen.

Ich arbeite mit einer Leica M, die für die klassische Reportage benutzt wird. Ich habe auch andere Spiegelreflexkameras im Einsatz, arbeite aber vorzugsweise mit unauffälligen Kameras.

Kunstnürnberg: Welche Ziele verfolgst du mit der Dokumentation deiner Reisen?

Claudia Willmitzer: Früher habe ich verstärkt Reportagen gemacht. Jetzt versuche ich davon wegzukommen und künstlerische Elemente in die Verarbeitung sozialer oder politischer Themen einzubinden.

Mich interessieren unterdrückte Gesellschaften, wie gerade im Iran. Dort war ich bereits dreimal und konnte beobachten, wie die Menschen von politischer Seite stark begrenzt werden, während große Teile der Gesellschaft westlich orientiert sind.

Hier entstehen Reibungen und Spannungen. Diese Wechselwirkungen möchte ich nachvollziehen und erkunden.

Kunstnürnberg: Du hast Reportagen und Reisen angesprochen. Wo hast du schon überall fotografiert?

Claudia Willmitzer: Meine Interessen liegen in Zentral- und Südasien: Ich war in u.a in Myanmar, Indien, Sri Lanka, Pakistan, Nepal, aber auch im Nahen Osten. Meinen Fokus richte ich jetzt auf dem Iran und die arabischen Länder.

 

Claudia Willmitzer: Jaffna in Sri Lanka

Claudia Willmitzer: Jaffna in Sri Lanka

 

Kunstnürnberg: Du warst für zwei Monate im Norden Sri Lankas. Welche Themen standen im Mittelpunkt deiner Fotografie?

Claudia Willmitzer: Ich war kurz nach dem Bürgerkrieg 2011 in der Region Jaffna und Kilinochchi in Sri Lankas Norden. Diese Region war relativ abgeschnitten vom Rest der Insel.

Mir ging es darum, die Lebenssituation der Menschen vor Ort aufzunehmen, die sich nach dem Bürgerkrieg neu orientieren mussten und versuchten, wirtschaftlich wieder Fuß zu fassen.

Ich wollte in privaten Häusern und Wohnungen fotografieren und die Menschen in ihrer Lebenssituation ganz nah ablichten. Meine Frage war: wie sieht es in den Häusern aus? Und nicht, wie sieht es in den vom Bürgerkrieg zerstörten Straßen aus.

 

Claudia Willmitzer: Jaffna in Sri Lanka

Claudia Willmitzer: Jaffna in Sri Lanka

 

Kunstnürnberg: Wie genau war deine künstlerische Vorgehensweise? Hast du eine spezielle Technik verwendet oder was war das Künstlerische an deinen Fotografien im Vergleich zu einer Reportage?

Claudia Willmitzer: Ich habe versucht die Menschen nicht in Aktion, sondern in ruhiger Haltung, z.B. sitzend in einem Stuhl, zu fotografieren. Die ruhige Haltung spiegelt das Ende des Bürgerkriegs und die Erschöpfung wieder.

Außerdem habe ich auf einen dokumentarischen Aufbau verzichtet und immer den gleichen Bildausschnitt, nur in verschiedenen Gebäuden, verwendet. Ich habe speziell die Ecken in den Häusern als Motiv ausgewählt, die für europäische Augen besonders fremd erscheinen. Das Künstlerische dabei ist meiner Meinung nach die Wechselwirkung zwischen mir und den Hausbewohnern.

Kunstnürnberg: Deine Fotos waren also inszeniert.

Claudia Willmitzer: Genau!

Claudia Willmitzer: Sri Lanka

Claudia Willmitzer: Indien

 

Kunstnürnberg: Du warst öfters im Iran und hast unter anderem 2012 auf der Insel Hormus fotografiert. Um was ging es in diesem Projekt?

Claudia Willmitzer: Zu dieser Zeit gab es eine Krise um die Seestraße von Hormus. Sie trennt den Iran und die omanische Exklave Musandam. Außerdem verbindet sie den Persischen Golf mit dem Indischen Ozean.

Diese Meerenge ist die wichtigste Öllieferstraße der Region und verbindet die Ölhäfen Kuwaits, Katars, Bahrains, des Iraks, der Vereinigten Arabischen Emirate und des Irans sowie große Teile des saudiarabischen Schiffsverkehrs mit dem Golf des Omans bzw. anschließend dem Indischen Ozean.

Ein Sperrung der Seestraße durch den Iran bedeutet die Blockade des Transfers von bedeutenden Mengen Erdöls in den nahen Osten. Die Hormus-Straße ist deshalb wirtschaftlich und politisch äußerst relevant.

Vor dem iranischen Festland liegt nun die recht unbewohnte Insel Hormus. Auf ihr befindet sich nur ein kleines Dorf. Dort habe ich Landschaften fotografiert. Es gibt keine Pflanzen, nur Salz und Stein, was eine sehr surreale Atmosphäre schafft.

Das Surreale passt hervorragend zum Iran. Ich habe die Fotografien digital bearbeitet, um diese Wirkung noch zu verstärken. Die Landschaften waren für mich im übertragenen Sinn ein Spiegelbild der iranischen Gesellschaft.

Claudia Willmitzer: Insel Hormus, Iran

Claudia Willmitzer: Insel Hormus, Iran

Kunstnürnberg: Wie hast du die Fotos bearbeitet?

Claudia Willmitzer: Es ist so, dass die Grundfarben der Steine auf Hormus im rötlichen Bereich liegen, also in ihnen viel Eisen abgelagert ist. Und diese Steine sind zerkleinert der Grundbestandteil in der Herstellung von Lippenstiften.

Ich habe die Farben intensiviert um Assoziationen zu provozieren. Das Rot sah ich als Warnfarbe an diesem wirtschaftlich strategischen Ort.

Kunstnürnberg: Die hast also zunächst nur die Landschaft fotografiert, was niemanden falsch aufstößt und auch keine Gesetze bricht. Jedoch verwendest du die Landschaft als Spiegel der iranischen Gesellschaft. Wie verstehst du das genau?

Claudia Willmitzer: Die Iraner leben in paradoxen gesellschaftlichen Strukturen. Die Landschaften sind minimalistisch. Bis auf die Metropolen sieht man im ländlichen Iran sehr wenig Leute. Es gibt eine hohe Landflucht und alle ziehen in die großen Städte.

Dies passt in das Bild der minimalisierten Geographie. Der Iran ist vier mal größer als Deutschland mit der gleichen Einwohnerzahl. Jedoch ist das Land leer und alles spielt sich in den Städten ab.

Außen herum ist alles Wüste und karg. Das hat mich zu den Fotografien inspiriert.

Claudia Willmitzer: Insel Hormus, Iran

Claudia Willmitzer: Insel Hormus, Iran

Kunstnürnberg: Du sagtest, man macht Lippenstift aus dem roten Gestein. Viel Lippenstift erwartet man nun nicht unbedingt im Iran.

Claudia Willmitzer: Das ist ein Stereotyp. Im Iran spielen Make-Up und Schönheitsoperationen eine sehr große Rolle. Die Frauen versuchen ihre Verschleierung durch viel Make-Up und Lippenstift zu kompensieren. Roter Lippenstift ist in Teheran allgegenwärtig.

Kunstnürnberg: Hier hast du also mit der Landschaftsfotografie den Bogen zur Gesellschaft gespannt. Das rote Gestein liefert das Material für Lippenstifte der Teheraner Frauen. So konntest du mit einer auf den ersten Blick nicht kontroversen Landschaftsfotografie am Ende Gesellschaftskritik üben. Genau hier steckt das künstlerische Element, wie ich finde.

Fühlst du dich sicher, wenn du fotografierst?

Claudia Willmitzer: Es gibt bestimmte kulturelle Regeln, die man einhalten muss. Ich reise grundsätzlich alleine. In Gebieten, die sehr weit außerhalb der Metropolen liegen, habe ich einen Übersetzer dabei. Es ist wichtig, dass man gewisse Informationen hat. Einfach blind in Situationen zu Reisen kann ich nicht empfehlen.

Kunstnürnberg: Du hast ja auch extra persisch gelernt, um im Iran besser zu Recht zu kommen.

Claudia Willmitzer: Genau. So konnte ich mir schon oft Zugang zu Situationen verschaffen, die mir sonst unzugänglich geblieben wären.

Kunstnürnberg: Konntest du dir vor Ort Netzwerke aufbauen?

Claudia Willmitzer: Ja, gerade im Iran oder auch in Indien sind die Menschen sehr daran interessiert mit Europäern Kontakt zu halten. Vor allem vom der jungen Generation aus baut sich ein Netzwerk schnell und intentsiv auf.

Ich versuche trotzdem unabhängig zu bleiben. Deshalb übernachte ich nicht bei Leuten, außer wenn ich für längere Zeit in die Berge gehe. Ich möchte vor allem politisch nichts provozieren.

Kunstnürnberg: Verwendest du Social-Media-Kanäle für deine Netzwerke? Man hört ja immer wieder, das Twitter oder Facebook gerade in Diktaturen oftmals das einzige Sprachrohr in die Welt sind.

Claudia Willmitzer: Iran

Claudia Willmitzer: Iran

Claudia Willmitzer: Ja, ich bin präsent. Jedoch muss man sagen, dass Twitter und Facebook oftmals nicht funktionieren und die Verbindungen unterbrochen werden. Ich verfolge die Twitter, Facebook und Instagram Kanäle der Leute mit denen ich arbeite. Ich verwende Social Media vor allem zum Sammeln von Informationen, um anschließend daraus ein bestimmtes Projekt, z.B. ein Kunstprojekt, zu machen.

Kunstnürnberg: Super Stichwort! Du fährt ja Anfang Oktober 2014 in den Iran, um dort ein Kunstprojekt zu verwirklichen. Um was geht es genau?

Claudia Willmitzer: Ich möchte mit Künstlern im Iran zusammenarbeiten. Mit einem Filmemacher werde ich Fotografie inszenieren. Hier geht es nicht um klare Dokumentation, sondern um das Verschwimmen von Grenzen. Ich möchte aufzeigen, was im Iran offiziell passiert und was nicht offiziell, also im Underground, abläuft.

Kunstnürnberg: Welche Künstler nehmen Teil und wo findet das Projekt statt?

Claudia Willmitzer: Das Projekt wird im Norden des Irans, in der Wüste durchgeführt. Der genaue Ort muss geheim bleiben, da bestimmte Informationen nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollen. Sonst gefährden wir das Projekt und die Beteiligten. Gerne klinken sich schnell Leute ungefragt ein, und kleben dann an Dir. Das ist nicht förderlich ist, sondern raubt dem Projekt die Selbständigkeit.
Ich arbeite mit einem Filmemacher zusammen, der in Teheran Film studiert hat. Seinen Namen gebe ich nach Abschluss des Projektes bekannt. Außerdem wirken noch Schauspieler und Tänzer mit. Gerade Tänzer des Balletts haben es im Iran schwer, weil Ballet verboten ist.

Kunstnürnberg: Ihr fahrt also in den Nordiran, in die Wüste. Was passiert als nächstes?

Claudia Willmitzer: Das Problem ist bis jetzt immer noch die offene Kommunikation von Deutschland in den Iran. Ein konzeptuelles Planen war deshalb schwierig. Selbstverständlich habe ich einen groben Plan entwickelt, aber Details können erst vor Ort mit den Beteiligsten ausgearbeitet werden.

Es gibt bestimmte kulturelle Gegebenheiten, die nur von iranischer Seite beigetragen werden können. Ich versuche deshalb das Konzept so offen wie möglich zu lassen, um vor Ort genügend Spielraum für Ideen der Iraner zu haben.

Kunstnürnberg: Gibt es einen provisorischen Titel oder ein näher bestimmbares Thema für die Inszenierung? Was ist deine Rolle genau?

Claudia Willmitzer: Das Thema ist die Wechselwirkung zwischen Mann und Frau im Iran. Hier fließt auch die Thematik der freien Beweglichkeit im Öffentlichen Raum, z. B. wenn eine Frau nicht verheiratet ist, mit ein.

Meine Tätigkeit wird sein, das Konzept der Inszenierung vor Ort zu schaffen und die Akteure anzuweisen, wie ein Regisseur. Jedoch steht am Ende kein Film, sondern inszenierte Fotografien aus meiner Hand.

Es ist eine Mischung aus einem Theaterstück im Freien und einem fotografierten Bühnenbild, wobei die Spontaneität eine wichtige Rolle spielt. Es handelt sich um ein Kunstprojekt im poetischen Rahmen.

Claudia Willmitzer: Iran

Claudia Willmitzer: Iran

Kunstnürnberg: Wie lange wirst du dort bleiben und wie gefährlich ist es, das Thema der Wechselwirkung zwischen Mann und Frau im Iran umzusetzen?

Claudia Willmitzer: Ich bleibe voraussichtlich einen Monat. Die Gefahr lässt sich schwer abschätzen, da sich die politische Stimmung und Lage im Iran schnell ändert, gerade im Bezug auf die jetzige Lage im Irak. Es ist immer ein unsicheres Gefühl dabei.

Kunstnürnberg: Was passiert nach Abschluss eures Projektes mit dem Material? Wie verwertet ihr eure Arbeit?

Claudia Willmitzer: Ich plane eine überregionale Ausstellung in Deutschland zu machen. Im Iran ist eine Ausstellung leider nicht möglich.

Kunstnürnberg: Man kann also zusammenfassen, dass du in den Iran fliegst, um dort eine „Underground-Projekt“ durchzuführen, das schauspielerische Inszenierung in Fotografie bannt. Die Ergebnisse zum Thema „Wechselwirkung zwischen Mann und Frau im Iran“ werden in einer Fotoausstellung in Deutschland gezeigt. 

Claudia Willmitzer: Exakt!

 

Das Interview führte Alexander Racz am 11.9.2014 in Nürnberg.

Fotos und © Claudia Willmitzer

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