Das Labyrinth – Eine Ausstellung der Diskurswerkstatt e. V. zum NSU-Komplex wird in Kooperation mit dem Kunsthaus im KunstKulturQuartier (Königstraße 93, 90402 Nürnberg) vom 26. September bis 17. November 2019 gezeigt.
„Mord ist für diese Täter die politische Botschaft. Sie bestimmen damit, wer hier leben darf und wer nicht“ (Barbara John)
Das LABYRINTH ist eine Ausstellung der Diskurswerkstatt e. V. (ein Teil des früheren KOMM- Bildungsbereich), die versucht, sich mit künstlerischen Werken und politischen Analysen und Einordnungen dem Komplex um den Rechtsterrorismus und den Mordanschlägen des „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) anzunähern.
Sie tut dies gemeinsam mit dem Kunsthaus im KunstKulturQuartier, dem Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände, dem Nuremberg International Human Rights Film Festival und dem Menschenrechtsbüro der Stadt Nürnberg.
Ausgangspunkt der Ausstellung im Kunsthaus ist der Gedanke, dass es Rechtsterrorismus und -extremismus seit der Gründung der Bundesrepublik gibt.
Trauriger Beleg dafür sind die Zahlen der Opfer dieser Verbrechen. Die Ausstellung zum „NSU“-Komplex beginnt deshalb mit der namentlichen Erwähnung der Todesopfer seit 1990.

Je nachdem, wer in welchem Interesse die Opfer zählt, weichen die offiziellen Zahlen (75 Todesopfer zwischen 1990 und 2015) von denen privater Organisationen, wie etwa der Amadeu Stiftung (180 Todesopfer im gleichen Zeitraum) ab.
Egal, auf welche Zahlen man sich bezieht: Der „NSU“ ist mit den ihm zugeschriebenen zehn Morden „nur“ ein kleiner – wenn auch erschreckender und brutaler – Teil rechtsterroristischer Taten.
Die Geschichte der Taten des „NSU“ anhand der Morde, Banküberfälle und anderer Taten setzen die Ausstellung zur Orientierung der BesucherInnen fort. Ergänzt wird diese Aufzählung der Taten von Kurzzitaten der Presseberichterstattung aus der damaligen Zeit.
Auffallend ist dabei, dass die Morde in der veröffentlichten Meinung kaum in den Zusammenhang mit Rechtsterrorismus gestellt werden.
Stattdessen werden die Annahmen der Polizeiarbeit, dass die Täter im Umfeld der Familien zu suchen seien, mehr oder weniger kritiklos übernommen.
Wenn dann die Spuren von Polizei und Presse über die Familien hinaus ins Milieu des „Organisierten Verbrechens“ führen, ist das aus heutiger Sicht schwer nachvollziehbar, weil es dafür keine Anhaltspunkte gegeben hat.
Darüber hinaus macht sie die Familien und die Angehörigen der Opfer zu (Mit-)Tätern. Bis zum 6. April 2006 kann man diese Annahmen mit viel gutem Willen nachvollziehen, da der „NSU“ sich ja erst am Schluss zu seinen Taten bekannte.
An diesem Tag aber demonstrierten Teile der türkischen Gemeinde in Kassel (nach dem 9. Opfer, Halit Yozgat in Kassel) unter dem Motto „Kein 10. Opfer“. Sie forderten nachdrücklich, die polizeilichen Ermittlungen auf rechtsterroristische Täter auszudehnen.
Am 11. Juni 2006 wurde noch einmal unter demselben Motto in Dortmund demonstriert. Die Ausstellung zeigt einen kurzen, von Sefa Defterli produzierten Film dieser Demonstrationen.

In den Räumen des Kunsthauses sind folgende Arbeiten zum „NSU“-Komplex zu sehen:
Forensic Architecture (eine künstlerisch-wissenschaftliche Forschungsgruppe der Londoner Goldsmith University) ist Teil der prozessualen „Aufarbeitung“ der Morde des „NSU“ in der Ausstellung „Das LABYRINTH“.
Auf drei Fernsehern ist das Ergebnis der Arbeit dieser Gruppe zu sehen. Sie untersucht und stellt den Mord an Halit Yosgat in Kassel mit den Potentialen digitaler Medien nach, bei dem der Verfassungsschützer Andreas Temme anwesend war.
Kontrastierend dazu ist an der gegenüberliegenden Wand die Urteilsbegründung des Gerichts, verlesen von Richter Götzl, im Prozess in München zu lesen, das die Aussagen des Verfassungsschützers beim Prozess in München für glaubwürdig erklärt.
Die Ergebnisse von Forensic Architecture, der Untersuchungen der Polizei und der Feststellungen des Gerichts weichen stark voneinander ab, so dass der/die BesucherIn sich (s)ein Bild von den Schwierigkeiten bei der Aufklärung der Schuldigen an den Morden und der anderen Taten machen kann.
In der Lesung der „NSU-Protokolle“, produziert vom Bayerischen Rundfunk, wird die prozessuale „Aufarbeitung“ der Morde des NSU in einem weiteren Raum fortgesetzt.
Zu sehen und zu hören sind die Aussagen des 84. bis 95. Tag des sog. „NSU“-Prozesses in München – vorgetragen durch SprecherInnen des Bayerischen Rundfunks.
Sie stehen als einzelne Gerichtstage für alle Gerichtstage und vermitteln einen guten Eindruck von der Atmosphäre im Gerichtssaal. Auf einem Bildschirm ist ein etwa 20-minütiger Ausschnitt zu sehen und zu hören.
Ebenfalls in diesem Raum sind Zeichnungen der Künstlerin Katharina Kohl zu sehen. Sie portraitierte den Personenkreis (z.B. Staatsanwälte, Verfassungsschützer, Zeugen, etc.), der für die Aufarbeitung der Verbrechen selbst eine zentrale Rolle gespielt hat.
Die Portraits erreichen dabei unterschiedliche Zustände der Fertigstellung, je nach dem, wann der für die Künstlerin erreichte Zustand des Portraits, mit dem Eindruck der jeweiligen Person vor Gericht in Einklang zu bringen war.
An den Wänden des Ausstellungsraumes im Kunsthaus sind darüber hinaus geschwärzte Protokolle zu sehen, die auf die Angaben von Zeugen und Angeklagten zurückgreifen.
Lesen können die BesucherInnen Aussagen, die sich wie ein roter Faden durch den Prozess gezogen haben:
„Daran kann ich mich nicht erinnern“, „das weiß ich nicht mehr“, waren oft gehörte Aussagen von meist rechtsextremistischen Zeugen und Beschuldigten.
In einem weiteren Raum werden Arbeiten von Regina Schmeken und Sebastian Jung im Kunsthaus gezeigt.
Sie thematisieren andere Aspekte des „NSU“-Komplex in der Ausstellung „das LABYRINTH“ mit künstlerischen Mitteln.
Regina Schmekens Arbeit „Blutiger Boden“ ist ein Fries mit Fotografien von den Tatorten des NSU. Mit enorm wirkungsvollen Schwarz-Weiß-Aufnahmen öffnet sie den Raum für Reflexion, aber auch Anteilnahme.
Die Neukonstellation ihrer Arbeit „Blutiger Boden“ für die Ausstellung im Kunsthaus verbindet die Ausstellung direkt mit der Einzelpräsentation ihrer Fotografien im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände.

Sebastian Jungs Arbeit „Winzerla“ versammelt Fotografien, Text und Zeichnungen aus dem gleichnamigen Vorort in Jena. Dort ist Sebastian Jung aufgewachsen. Jahre später haben sich dort in den 90er Jahren die „NSU“-Täter, Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe radikalisiert.
Sebastian Jungs Fotografien, Zeichnungen und Texte setzen sich zwar mit dem konkreten Ort „Winzerla“ auseinander, könnten aber tatsächlich beinahe überall in der (neuen und alten) Bundesrepublik oder in Europa entstanden sein.
Die Plattenbauten sind aber keine Projektionsfläche für das Motiv des Schreckens Jung geht es in seinem Werk „Winzerla“ nicht um Architekturkritik, sondern er möchte die bürgerliche Mitte mit den Abgründen des NSU und der Nazi-Vergangenheit in nicht wenigen Familien konfrontieren, damit sie sich mit ihren (unterdrückten) Ängsten und Ressentiments auseinandersetzen. Phänomene, die bislang bestenfalls verdrängt wurden.
Zusätzlich präsentiert die Diskurswerkstatt e. V. analytische Aspekte des labyrinthischen „NSU-Komplexes“ in Textform:
- So wird die rechtsterroristische Gewalt in Deutschland seit 1945 eingeordnet,
- die historische politische Migrationsproblematik in Ost- und Westdeutschland dargestellt
- sowie die Arbeit des Verfassungsschutzes befragt.
- und die Arbeit der örtlichen Polizei und übergeordneter Stellen (z. B. Beckstein) analysiert.
Dabei wird deutlich, dass die Verbrechen des NSU nur einen kleinen – wenn auch herausragenden und erschütternden – Teil der rechtsterroristischen Morde und Aktivitäten in der Bundesrepublik ausmachen.
Die Vereinigung beider deutscher Staaten wirkt auf die rechtsterroristische Szene quasi wie ein Katalysator.
Westdeutsche Nazis unterstützten eine im Kern vor 1990 entstandene gewaltbereite Naziszene nach Kräften. Dargestellt wird auch das sich stark veränderte Verhältnis der deutschen Gesellschaft zu ihren Mitbürgerinnen und Mitbürgern mit migrantischen Wurzeln (Wandel vom Gastarbeiter zum/r MitbürgerIn, bis hin zu den Anschlägen von Hoyerswerda und Mölln).
Befragt wird auch die Rolle des Verfassungsschutzes – vor allem in den Ländern. Verschiedene Ämter wussten mit hoher Wahrscheinlichkeit von den Aufenthaltsorten des Kerns des „NSU“.
Die sie unterstützende rechtsextremistische Szene ist darüber hinaus vom Verfassungsschutz finanziell unterstützt worden. Einer der bestbezahlten Verfassungsschutz-„Mitarbeiter“ war der NPD-Mann Tino Brandt, der Kontakt zu den Hauptakteuren des „NSU“ hielt.
Trotz solch erdrückender Hinweise ist die Rolle der Verfassungsschutzämter kaum aufzuklären, da z. B. Hessen Akten der Ämter für 120 Jahre gesperrt und andere Ämter zahlreiche Akten vernichtet haben. Eine der erschütternden Konsequenzen aus der undurchsichtigen Rolle der Verfassungsschutzämter ist die Behinderung der Arbeit der Polizei, die hier an Einzelbeispielen dargestellt wird.

Es ist nicht auszuschließen, dass rechtzeitige Hinweise auf rechtsterroristische Täter die Polizei der Länder von der jahrelang verfolgten falschen Spur der „Organisierten Kriminalität“ abgebracht hätten. Allerdings stellt die Ausstellung im Kunsthaus auch Fragen an die Polizei vor Ort und auf ausgewählten Führungsebenen.
Und auch dort ließ sich die Polizei jahrelang nicht davon abbringen, die Opfer als Teil der „Organisierten Kriminalität“ oder auch als Teil terroristischer Organisationen zu sehen. Jahrelange völlig erfolglose Ermittlungen waren die Folge.
Dadurch wurden die Angehörigen der Opfer zu Tätern gemacht. Schlimmer noch: Die Behörden behandelten über lange Zeit hinweg die Nichtdeutschen als „Opfer zweiter Klasse“ und verstießen damit letztlich auch gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes.
Bitte beachten Sie die Veranstaltungen der Kooperationspartner:
- Ausstellung: Regina Schmeken, Blutiger Boden – Die Tatorte des NSU, 19.9.2019 bis 23.2.2020, Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände
- Film: „Der zweite Anschlag“, Filmhaus Nürnberg