Für alle, die die Vernissage der Ausstellung „Family Business“ von Hanspeter Widrig und seinem Sohn Daniel Widrig verpasst haben, gibt es auf KUNSTNÜRNBERG exklusiv die Einführungsrede zum Nachlesen.
Die Einführungsrede der Vernissage zur Ausstellung Family Business in Schwabach
Es gibt einige berühmte Vater/Sohn-Paare – die Widrigs waren es bislang meines Wissens nach nicht – könnten es aber noch werden. Ich fand es jedenfalls sehr spannend, über eine gemeinsame Ausstellung von Vater und Sohn heute berichten zu dürfen.
Zwei Generationen Kunst, zwei Generationen Kreativität
…und dann wiederum sind sie doch nicht so weit voneinander entfernt. Der eine, Hanspeter Widrig, ist sehr klassisch ausgerichtet, bezeichnet sich gar selbst als „Dinosaurier“, der Sohn Daniel arbeitet mit den modernsten Technologien am Übergang von digital und analog, gattungsübergreifend, gattungssprengend aber beide verwenden ihre Kreativität für das Künstlerische.
Hanspeter Widrig ist 1945 in Küssnacht in der Schweiz geboren, freischaffender Bildhauer und lebt seit 1970 in Stein. Der Sohn Daniel Widrig, 1977 geboren, ist vor allem Architekt und lebt in London.
So scheint es im Nachhinein ein überzeugendes Leitmotiv dieser Ausstellung zu sein, dass der Janus-Kopf so oft vorkommt. Er kann zwei Herangehensweisen, zwei Sichtweisen verkörpern. Das zweiköpfige Porträt blickt aber ebenso in die Vergangenheit wie es in die Zukunft blickt. Hanspeter Widrig hat dem zuweilen noch eine dritte Dimension hinzugefügt, um die Gegenwart, also das Hier und Heute mit einzubeziehen.
Hanspeter Widrig zu Ehren gibt es diese Ausstellung – initiiert anlässlich des 70. Geburtstages. Dass sie hier in der Städtischen Galerie, ausgerichtet vom Schwabacher Künstlerbund stattfindet, ist nur folgerichtig, denn Hanspeter Widrig ist ein Urgestein des Künstlerbundes – von Anfang an und intensiv zusammen mit Hubert Vogl arbeitend, dabei.
„Ich war inspiriert von Werken Hildebrand“, erinnert sich Hanspeter Widrig. Er begann wie früher alle großen Bildhauer begonnen haben, nämlich mit einer Ausbildung zum Steinmetz und Steinbildhauer in der Werkstatt von Albert Wider– er hat die Bildhauerei von der Pike auf gelernt: Figuren in Ton- und Gips aufzubauen, auch überlebensgroß, ihre Proportion und das genaue Setzen von Längs- und Querschnitten war und ist wichtige Voraussetzung.
Schon damals war er maßgeblich bei Werken Widers in der Schweiz, aber auch in Rom beteiligt.
Im Anschluss studierte Hanspeter Widrig Bildhauerei nach privaten Studien in München bei Karl Baur, einem Hildebrandt-Schüler, sowie kurzzeitig in Mailand bei Marino Marini und Francesco Messina an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg. Grund hierfür war Professor Hans Wimmer und dessen Arbeiten.
In Nürnberg schloss Widrig 1975 als Meisterschüler von Wilhelm Uhlig ab. Ein Studium bei Wimmer schien Widrig erstrebenswert, denn Wimmer schuf – entgegen dem Zeitgeist nach dem Zweiten Weltkrieg – figürliche Bildwerke. Dies war damals eben keinesfalls selbstverständlich, hatte doch der Nationalsozialismus durch seine Ablehnung der Moderne und die Stilisierung rückwärtsgewandter Kunst figurative Themen und deren Gestaltung nach 1945 fast unmöglich gemacht.
„Ich war inspiriert von Hildebrandt“ hatte ich Widrig vorhin bereits zitiert. Hildebrandt, der bis zum Ende des Ersten Weltkrieges als wichtigster deutscher Bildhauer galt, dessen Plastiken und Skulpturen klassische Züge tragen und die gekennzeichnet sind durch eine klare, reduzierte und ruhige Formgebung.
Eine Charakterisierung, die auch auf Hanspeter Widrig zutrifft. In seinen Werken finden sich keine überflüssigen Details, die menschliche Gestalt ist das bevorzugte Sujet. Aber auch Tierdarstellungen als Reliefs oder Plastiken entstehen vielfältig.
Zahlreiche öffentliche und private Aufträge wie Denkmäler und Brunnen hat Widrig im Lauf der Jahrzehnte geschaffen, darunter den Noris-Brunnen am Friedrich-Ebert-Platz mit seinen zwei inhaltlich so gegensätzlichen Seiten (Schmuck, Gewinn, Ehre, Zier auf der einen, Verlust, Schande, Zerstörung und Missbrauch auf der anderen Seite), einen dynamischen, sehr ausschreitenden Jakobus in Ornbau, einen Georg in Hohengüßbach.
Oft, und das zeichnet Widrig Arbeiten aus, ist die Interpretation klassischer Themen aber eine eher ungewöhnliche. Er denkt intensiv über die gestellte Aufgabe und die Thematik nach, durchdenkt sie und ebenso durchdacht ist dann die Gestaltung, die folgt. Nie willkürlich, sondern immer fundiert. Widrig sucht das Wesentliche und Zutreffende und führt mit Präzision aus, was er eingehend studiert hat.
Der Georg in Hohengüßbach zum Beispiel ist ein berichtigter Georg, nämlich ein römischer Soldat, der wie damals an bestimmten Positionen im Heer üblich einen Drachenkopf auf der Stange trägt. Er zeigt auch den damals üblichen Hörnchensattel und hat keine Steigbügel – die gab es nämlich damals noch nicht.
Noch ungewöhnlicher ist die Lösung, die Widrig für die Aufgabenstellung des Auswandererschicksals in Leutershausen geschaffen hat. Statt eine Gruppe Menschen mit Koffern zu schaffen, wie es vielleicht naheliegend wäre, entschied sich Widrig für ein Flugzeug-Skelett. Ein spezielles Flugzeug-Modell, das Gustav Weißkopf, der aus der dortigen Gegend kommt entworfen und geflogen hat und damit den Menschheitstraum des Fliegen-Könnens zum Teil erfüllte.
Hanspeter Widrig arbeitet in vielfältigen Materialien. Viel Bronze ist dabei, wenig Holz, aber auch Stein, Keramik, Gips, Ton und schließlich gar Styropor. Eines haben seine Werke jedoch fast alle gemeinsam. Sie sind zeitlos gestaltet und oft liegt ihnen die beschriebene unerwartete Interpretation des Themas zugrunde.
„Ich bin ein bildhauerischer Dinosaurier und habe alles noch so erlebt wie im Mittelalter, zum Beispiel die Bronzegießerei wie bei einem Cellini, aber ich sage eines: ‚Was nicht gemacht wird, ist viel interessanter als das, was gemacht wird‘.“
Hier bezieht sich Widrig auf viele Wettbewerbe, an denen er beteiligt war – auf das, was dafür entworfen wurde und nicht realisiert werden konnte, wie zum Beispiel das Denkmal für die Vertriebenen in Wien mit dem Titel „Der deportierte Nachbar“.
Dies kann man nur sehr kurz skizzieren, was Widrig in fast 55 Jahren Bildhauerei geschaffen hat. Was er uns hier und heute in dieser Ausstellung zeigt, ist aber ein guter Querschnitt seines Werkes in Materialien, Themen und Gestaltung. Wir sehen klassische Tierplastik ebenso wie unterschiedliche Interpretationen des Janus. Ein Voyeur spielt ebenso eine Rolle wie eine mit einem Schwein gekrönte aztekische anmutende Gipspyramide. Oft taucht auch das Sujet des Totenschädels auf, das „Verheißung“ ebenso verspricht wie es sich in „Auf der Suche nach der neuen Heimat“ auf Fukoshima bezieht.
Der Architekt Daniel Widrig
Im Gestalten und Experimentieren mit Materialien, in der Gestaltung von Form im Raum trifft sich Hanspeter Widrig mit seinem Sohn Daniel, der vom Vater sicherlich die ausgeprägte Kreativität geerbt hat. Zunächst war es nicht klar, in welche Ausbildungsrichtung es gehen wird, schienen doch viele Wege möglich. Schließlich ist er Architektur geworden – und auch geblieben – obwohl Daniels Werke aus heutiger Sicht strenggenommen überhaupt keinen Gattungen zugerechnet werden müssen.
„Sein Werdegang ist ein Märchen!“, sagt sein Vater über ihn. Sohn Daniel ist von den Technologien fasziniert, wie sie heute verfügbar sind und deren Einsatz ihm bereits aus dem Architekturstudium geläufig sind, aber eben ganz besonders von Materialexperimenten.
Daniel studierte zunächst an der FH Nürnberg, sattelte aber einen Master an der Architectural Association School of Architecture in London drauf und arbeitete im Anschluss mehrere Jahre im Büro von Zaha Hadid. Bei Hadid war er an vielen großen Projekten beteiligt, so auch an einem Wettbewerb für einen neuen Stadtteil für Istanbul, am Performing Arts Center in Abu Dhabi oder dem Innenraum des Merkezi Cultural Center in Baku/Aserbaijan. Seit 2009 und nach einem Studienaufenthalt in der Villa Massimo in Rom, hat er sein eigenes Büro in London und arbeitet in vielen Bereichen.
Das Aufbrechen von Gattungen ist die logische Konsequenz aus seiner Arbeitsweise. Daniel setzt moderne Technologien – und gemeint sind hier Computertechnologien – ein, die Gestaltung und Formung in jeder Richtung ermöglichen und es somit auch möglich machen, Gattungen zu sprengen. Eine Festlegung ist nicht mehr nötig. Er arbeitet als Architekt, schafft aber ebenso Objekte und Skulpturen, Mobiliar, Schmuck und mit seinen „wearable sculptures“ sogar eine Art „Haute Couture“.
„Designers can break down boundaries between disciplines by borrowing technologies and tools traditionally associated with one industry and using them in other industries, in unexpected ways.“ (Dezeen 2014/03/18)
Daniel arbeitet mit 3D-Daten – seine Skulpturen sind zum Teil „Ausdrucke“, prints von 3D-Druckern. Sie werden am PC entworfen und dreidimensional ausgedruckt. Beispiele hier in der Ausstellung sind die „Büsten“, also Porträtköpfe wie der aus Porzellan gefertigt wirkende „Dead Head“ oder der mit Sand beschichtete „Sand man“ oder auch „Evoded Form No. 2“. Auch Aggregation No. 4 ist so entstanden und anders als man es erwarten würde, keinesfalls eine willkürliche Form. Ihre Formung ergibt sich aus geometrischen Grundformen, deren Algorithmen und den sich aus ihnen ergebenden Regeln am Computer verändert wurden. Daniel ist somit dem zuletzt in der Galerie ausgestellten Gerhard Hotter näher als man es zunächst erwarten würde.
Als ich mir seine Werke im Internet ansah, kam mir zuerst die Silbe „morph“ in den Sinn, Begriffe wie „biomorph“ oder „anthropomorph“. Das ist nicht ganz unrichtig, bedeutet „morph“ doch zunächst „gestaltet“, leitet aber doch ein wenig fehl, denn Daniels Form- und Materialexperimente basieren wie eben beschrieben vornehmlich auf geometrischen Formen, teils auch mathematischen Konzepten. Aus diesen werden dann Stühle, Tische, Kleidung, Schmuck, Design, aber auch Objekte ohne Nutzcharakter – und eben auch Architektur.
Bei anderen Werken wie den hier zu sehenden „Reliefs“ werden die Oberflächen – natürlich computergesteuert – so gefräst, dass die Frässpuren an sich die ästhetische Qualität ergeben und das Werk zum Relief machen.
Wieder andere kombinieren Materialien, wie zum Beispiel in diesem Fall handgemachte, mit Montageschaum geformte und gehärtete Lycra mit Kunstharz und ergeben Wandobjekte wie die zu sehenden Silverbullets, die nicht nur durch ihre Formung räumlich wirken, sondern auch durch die Reflektionen, die ihre glänzenden Oberfläche ermöglichen.
DigitalHandmade ist sicher mit die zutreffendste Beschreibung seiner Werke, die Daniel Widrig selbst einmal in einem Vortrag formuliert hat. Dies ist auch gut in den hier ausgestellten „Trajectories“ zu sehen. Auf den ersten Blick meint man klassische Zeichnungen vor sich zu haben – aber es sind Digitalprints – deren Programmierung und Formung computergeneriert, aber handmade sind.
Daniel ist international tätig und weltweit in Ausstellungen vertreten, von Tokyo über Moskau, Orleans, Mailand, Wien, London, Berlin und hat eine lange Liste von Preisen erhalten. Zuletzt hat er einen Wettbewerb für ein künstlerisches Gestaltungskonzept für das Freiburger Zentrum für interaktive Werkstoffe und bioinspirierte Technologien gewonnen und sein Istanbul-Television Tower, ein Fernsehturm von 370 Metern Höhe, könnte einer Verwirklichung entgegengehen.
Daniel beherrscht die Technologien exakt und entwickelt digitale Systeme als Basis für die Gestaltung neuer formaler und räumlicher Konzepte. Sein Studio ist in der Avantgarde von digitaler Kunst und Design – und auch im Gaming – dabei.
Text: Sandra Hoffmann-Rivero