Die Ausstellung Von Kirchner bis Baselitz. Ein Jahrhunderterbe: Die Sammlung Hans Kinkel im GNM läuft vom 11. Mai – 10. September 2017.
Die Sammlung Hans Kinkel im GNM

Blicke in den Ausstellungsraum „Von Kirchner bis Baselitz“ Foto: Studio Dirk Messberger
Der 2015 verstorbene Kunstschriftsteller, Kunstsammler und Fotograf Hans Kinkel vermachte dem Germanischen Nationalmuseum seine erlesene Kollektion von fast 400 Zeichnungen der Moderne.
Mit einer Auswahl von insgesamt 124 Blättern gibt die Ausstellung einen ersten Überblick über diese hochkarätige Erbschaft mit Blättern von bildenden Künstlern, die in Deutschland die Kultur des 20. Jahrhunderts maßgeblich prägten.
Mit zahlreichen Meisterzeichnungen entfaltet die Sammlung ein breites Panorama der Zeichenkunst vom Spätimpressionismus über den Expressionismus und die Neue Sachlichkeit bis zur Abstraktion.
„Es ist der bedeutendste Neuzugang der letzten 20 Jahre für die Graphische Sammlung“, hebt Generaldirektor Prof. Dr. G. Ulrich Großmann hervor.
Kinkel als Fotograf

Ernst Ludwig Kircher: Kopf Erna mit Stirnreif, um 1912 Bleistift auf Papier
53,8 x 37,9 cm
Germanisches Nationalmuseum, Graphische Sammlung
Über Jahrzehnte interviewte und fotografierte Hans Kinkel zahlreiche Künstler. Aus diesem Fundus von mehr als 1.000 Aufnahmen bilden 35 Porträts von in der Ausstellung vertretenen Künstlern den Auftakt der Präsentation. Sie gliedert sich in zehn Sektionen, die die besonderen Vorlieben Kinkels und seine thematischen Schwerpunkte spiegeln. Den Fotos folgen – in Anlehnung an den Ausstellungstitel – die Zeichnungen „Erna mit Stirnreif“ von Ernst Ludwig Kirchner und der „Große Kopf“ von Georg Baselitz. Wäh- rend der Brücke-Künstler mit einem reduzierten graphischen Vokabular die seelische Verfassung seiner Lebensgefährtin einfängt, zerstört Baselitz mit wilden Linien seinen Kopf scheinbar vor den Augen des Betrachters.
Welche Rolle die Themen „Bildnis“ und „Figur“ in der Sammlung Kinkel spielen, veranschaulichen die Sektionen „Der Blick in den Spiegel“, „Gesichter der Avantgarde“ und „Modell und Idealfigur“. Unter den Selbstbildnissen ragen insbesondere eine Zeichnung von Karl Hubbuch und eine von Jeanne Mammen heraus: Der junge Hubbuch, noch auf der Suche nach der eigenen Identität, hält überraschenderweise nicht seine körperliche Erscheinung fest.

Georg Baselitz: Großer Kopf, 1966, Kohle, Aquarell und Bleistift auf Papier, 50 x 35,5 cm, Germanisches Nationalmuseum, Graphische Sammlung © Georg Baselitz 2017
Vielmehr zeigt er stellvertretend seine Kleidung und Masken seines Gesich- tes. Rund 20 Jahre später gibt sich die damals arbeitslose Janne Mammen – von ihr existieren nur drei Selbstbildnisse – mit erbarmungslosem Blick ängstlich und ohne Selbstvertrauen wieder.
In der Porträtgalerie sind berühmte Schriftsteller, Galeristen und Künstler der Weimarer Republik vereinigt. Zu ihnen gehört das schonungslos-analytische Konterfei des Schriftstellers Max Herrmann-Neisse, das das Bild des Intellek- tuellen in der Weimarer Republik nachhaltig prägte. George Grosz porträtierte seinen Freund in mehreren Bildern.
Seltene Bildhauerzeichnungen

Karl Hubbuch: Auf dem Boulevard Bonne Nouvelle, 1930
Schwarze Tusche über Bleistift auf Karton, unten und rechts mit braunem Karton ergänzt 54,4 x 38,7 cm
Germanisches Nationalmuseum, Graphische Sammlung
Zum Kern der Kollektion gehören Bildhauerzeichnungen, eine Auswahl ist in der Sektion „Modell und Idealfigur“ zu sehen. Dazu zählt das ergreifende Blatt „Mutter und toter Sohn“ von Käthe Kollwitz, auf der die Künstlerin der trauernden Mutter ihre eigenen Züge verlieh.
Hans Theo Richter hingegen tilgte in seinen Blättern alle individuellen Merkmale seiner „Zufallsmodelle“: Er zeichnete so lange, bis er die Gestalt auf das Wesentliche verdichtet hatte. Während seiner ganzen Karriere fühlte er sich zur Bildhauerei hingezogen, wozu ihm nach eigener Aussage jedoch die Kraft fehlte. Er kompensierte dies, indem er sich in seinem Werk hauptsächlich auf Aktdarstellungen konzentrierte und sie seit 1935 ausschließlich in schwarz-weiß ausführte.
Der Mythos der Großstadt oder „Das Dickicht der Städte“ ist mit etlichen bemerkenswerten Zeichnungen präsent – wie beispielsweise in Karl Hubbuchs „Wahrzeichen“. 1926 reiste der Künstler zum ersten Mal nach Paris und hielt dort auf seinen Streifzügen den Eiffelturm fest. Die Perspektive ist ungewohnt, der Ausschnitt begrenzt. Durch die Distanz zu den Häusern im Hintergrund und das kleine Flugzeug am Himmel vermittelt das Blatt ein Gefühl für die Dimensionen des Pariser Wahrzeichens. Werner Heldts Blatt „Straße“ von 1948 erscheint dagegen wie ein Traumbild. Nach 1945, vor dem Hintergrund kriegszerstörter Städte, verfremdete der Künstler seine melan- cholischen Stadtlandschaften zu „Häuserstillleben“.
Neben Stadtbildern beanspruchen im Kinkel-Bestand auch Landschaftsdar- stellungen ihren Platz. Unter der Überschrift „Horizonte“ ist beispielsweise die „Baumgruppe am Wasser“ von Karl Schmidt-Rottluff zu entdecken:
Von 1907 bis 1912 mietete sich der Brücke-Künstler mehrfach in Dangast an der Nordsee ein, wo 1911 unweit des Kurorts die Baumgruppe einer Insel im Park der Sommerresidenz des Großherzogs von Oldenburg in Rastede entstand, die er fast bis zur Gegenstandslosigkeit vereinfachte.
Von Stillleben bis zur Abstraktion

Karl Hubbuch: „Das Wahrzeichen“, 1926
Kreide auf Papier
39,2 x 38,4 cm
Germanisches Nationalmuseum, Graphische Sammlung
Die Sektion „Das stille Leben der Dinge“ fasst ausgewählte Stillleben zu- sammen. Sie reicht von der intimen Zeichnung „Hand mit Rose“ von Lovis Corinth bis zu den scheinbar sachlichen Produktbildern eines Konrad Klapheck. Nach der Heirat mit Charlotte Behrend zeichnete Corinth in einem Zeitraum von etwa 20 Jahren zahlreiche kleine Studien seiner Frau.
In dem ausgestellten Blatt fing er die Schönheit einer Rose ein, die von den unverwechselbaren Händen seiner Frau gehalten wird. Klapheck dagegen ordnete Produkte wie der Schreib- oder Nähmaschine entweder ein weibliches oder ein männliches Geschlecht zu und versah sie mit menschlichen Eigenschaften. Schuhe, die im Kosmos des Künstlers weiblich sind, repräsentieren bei- spielsweise zwischenmenschliche Verhaltensweisen und Beziehungen.
Breiten Raum nehmen außerdem Zeichnungen der Nachkriegszeit ein, die einen Bogen vom Informel bis zur neuen Figuration schlagen. Für „Abenteuer Abstraktion“ steht stellvertretend das Blatt „Djerba“ von Emil Schumacher. Der Künstler besuchte die tunesische Insel erstmals 1962 und schuf dort eine Gruppe bedeutender Papierarbeiten, die selten visuelle Eindrücke wie- dergeben. „Djerba“ lässt allenfalls vage Anklänge an die Insel mit ihren wei- ßen Bauwerken in schlicht-kubischen Formen aufscheinen. Mit der Spannung zwischen Material und Form führt es eher ein bildhaftes Eigenleben.
Großes Interesse hegte Hans Kinkel auch für die Illustrationszeichnung, die die Ausstellung unter dem Motto „Bilder und Worte“ mit Beispielen von Paul Holz, Josef Hegenbarth und Jules Pascin vorstellt. Als „Gäste“ charakte- risierte er Arbeiten von Mitgliedern der Académie Matisse wie Oskar und Marg Moll oder von Künstlern aus dem Kreis des Café du Dôme im Pariser Stadtteil Montparnasse. Hier traf sich die internationale künstlerische Avant- garde, darunter deutsche Künstler wie Hans Purrmann oder Rudolf Großmann. Unter dem Stichwort „Inspiration Paris“ werden ihre Zeichnungen neben Blättern von Henri Matisse und Alexander Archipenko gezeigt.
Infobox
- Germanisches Nationalmuseum, Kartäusergasse 1, 90402 Nürnberg
- Öffnungszeiten: Dienstag – Sonntag 10 – 18 Uhr | Mittwoch 10 – 21 Uhr | Montag geschlossen
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