Katja Then in der Ausstellung herbare im Kunstverein Kohlenhof Nürnberg, Foto Konrad Winter
Katja Then präsentierte im Kunstverein Kohlenhof Nürnberg e. V. vom 4. Juni bis 2. Juli 2022 unter dem Titel herbare ihre aktuellen Werkreihen, die im Spannungsfeld von Kunst, Natur und Gesellschaft angesiedelt sind. Sie spricht mit Eva Schickler über ihren Werdegang, ihr besonderes Interesse an floralen Referenzen, über künstlerische Praxis sowie ihre Gedanken zum Schutz der Natur.
Katja, Du hast an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg sowie an der Akademie der Schönen Künste in Budapest studiert, warst an der Internationalen Sommerakademie in Salzburg und hast etwa ein Jahr am Goldsmiths College in London drangehängt.
Wenn Du zurück denkst, was würdest Du sagen, gibt es irgendwelche Erfahrungen, Erlebnisse, Persönlichkeiten, die Dich in irgendeiner Form nachhaltig geprägt haben? Was oder wer kommt Dir da in den Sinn?
Mein Studium in der Klasse für freie Malerei, Grafik und Objektkunst bei Rolf-Gunter Dienst hat mich am nachhaltigsten geprägt. Auch die Vorlesungen über Kunstgeschichte, Gastprofessorinnen und Gastprofessoren, sowie meine Studienkollegen und Studienkolleginnen haben eine wichtige Rolle für mich gespielt.
Natürlich haben mich auch all die besuchten und selbst realisierten Ausstellungen, Reisen und Auslandsaufenthalte geprägt. An der Akademie der Schönen Künste in Budapest war es Dora Maurer. Menschlich und künstlerisch.
An der Internationalen Sommerakademie in Salzburg war es die Fotoklasse von Katharina Sieverding, welche mich sehr inspirierte. Zu Caroline Broadhead, einer faszinierenden britischen Künstlerin bin ich über Karlheinz Schmid, gekommen, welcher uns mit einer sehr spannenden zeitgenössischen Kunst-, Kunstmarkt- und Kunstberichterstattungsanalyse während seines Gastsemesters an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg im Jahr 1999 beglückt hat und mich mit meinem großen Interesse für die Mode und die Kleider in der Kunst mit seinem VIP-Ticket zur Ausstellung Avantgarderobe nach Wolfsburg schickte.
Er war es auch, der schon während meiner Studienzeit mein Blumenkleid aus Budapest in der von ihm und seiner Frau Gabriele Lindinger herausgegeben Kunstzeitung in die Öffentlichkeit gebracht hat. Und wenn ich so nachdenke sind es noch viele Begegnungen und Persönlichkeiten mehr, welche meinem Weg begleitet haben … All die WerkstattleiterInnen, DozentInnen, Vortragenden … Ich habe wie ein Schwamm alles aufgesogen.
Das erste Staatsexamen habe ich auch noch mitgenommen, mich dann aber von Caroline Broadhead inspiriert, für ein Studium am Goldsmiths College in London entschieden und mich beim DAAD für ein Auslandsstipendium beworben. 2001 konnte ich das Studium mit einem Master of Arts abschließen, bin aber noch eineinhalb weitere Jahre in Großbritannien geblieben.
Jeder Mensch wird in die Welt geworfen und somit in eine Gesellschaft, Kultur, ja in eine Art Netzwerk. Das prägt einen in gewisser Weise mit. Natürlich sind die Namen, die Du aufgezählt hast, in der Kunst ein Begriff, also Prof. Rolf Gunter-Dienst oder der Kunsthistoriker Prof. Lüdeking, der auch Präsident der Nürnberger Akademie war.
Interessieren würde mich in diesem Zusammenhang: Kannst Du das vielleicht auch an einem konkreten Beispiel fassbar machen? Inwiefern hat Dich beispielsweise Katharina Sieverding inspiriert? Sieverding zählt ja zu den Pionierinnen der künstlerischen Fotografie. Hattest Du durch sie eine Erkenntnis oder Ähnliches?
Zu Katharina Sieverding an die Internationale Sommerakademie nach Salzburg bin ich aus einem Drang heraus, etwas Neues und Anderes zu erfahren und zu entdecken. Ich hatte ja bis dahin in der Außenstelle der Akademie der Bildenden Künste bei Professor Günter Dollhopf im idyllischen Wasserschloss in Lauf an der Pegnitz studiert.
Sofort war ich von der Persönlichkeit Katharinas beeindruckt. Vom theoretischen Über- und Unterbau ihrer Arbeiten und von ihrem Selbstbewusstsein. Von der Intensität der Auseinandersetzung. Die drei Wochen waren voll. Mit Theorie. Mit Ausstellungen und mit Arbeit. Im Kopf. Mit der Kamera. Und im Fotolabor. Richtig groß natürlich. Die Rolle Fotopapier 1×10 m.
Ich hatte zu diesem Zeitpunkt eine Serie Selbstportraits in der Badewanne unter dem Titel Schaltet, den Schmerz ab, schnell gemacht und eine schwarz-weiße Serie als Engel, welche ich dort zur Endausstellung als Diaprojektion ganz riesig durch den ehemaligen Salzspeicher der Saline projiziert habe. Schon zuvor waren die Fotoabzüge immer heller und heller geworden. Die Entmaterialisierung war dann ein konsequenter Schritt.
Im Nachhinein, so denke ich, ging es mir vielleicht damals schon um ein Sich-Auflösen, Verschwinden …
Die Entmaterialisierung und zunehmende Auflösung von Materie, das Durchlässige spielt im Zeitalter der Digitalisierung sowie im ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen als auch in Deinen Arbeiten eine grundlegende Rolle. Und das ist in der Ausstellung im Kunstverein Kohlenhof Nürnberg ablesbar, beispielsweise an den Arbeiten mit den transparenten Lampenschirmen herb, adam and ghost genauso wie in den neos und neolitos mittels der Leerstellen. Bevor wir über die Arbeiten sprechen, noch die Frage vorab: Der übergreifende Ausstellungstitel lautet herbare, wie kam es dazu, was verbindest Du damit?
Nachdem in meiner Arbeit immer wieder florale Referenzen aufgetaucht sind, wie in den Blumenkleidern – in das erste habe ich getrocknete Blumen eingenäht (1995), beim nächsten aus dem Stoff herausgeschnitten (1997), später (1999) habe ich Blumen aus mit weißem Garn umwickelten Draht gebogen und aus einem weißen Kleid herauswachsen lassen, in meinem Kleekleid (Clover Cloth) waren richtige Samen in kleinen weißen wattigen Polstern eingenäht und trugen, wie später auch das in London entstandene Snowcloth, das potentielle Wachstum der Pflanzen vom Samen über das erste Keimen, vom Erblühen und zum Verblühen – den Lebenskreislauf – wie auch den Modezyklus von der Frühjahrs- über die Sommer- bis hin zur Winterkollektion poetisch in sich.
Aber auch in der Malerei sind Flora und Fauna immer wieder aufgetaucht. Zu Beginn noch versteckt als Filzstiftzeichnungen unter einer weißen Farbschicht… wobei ich gestehen muss, dass ich noch immer darauf warte, dass sie durchschlagen … In den Mimikrys, wo sie sich gerne als florale Tapetenmuster in denselben getarnt haben. Aber auch in den Farb- und Linienbändern der vertikalen Streifenbilder, welche in Worpswede direkt in den Künstlerhäusern vor der Weite der norddeutschen Natur direkt mit Versatzstücken aus der Landschaft entstanden sind: Ich habe da Farbspuren und -streifen über Gräser, Schilf und Blumen aus der Umgebung direkt auf die Leinwand gelegt. Wieder aus dem Bild/der Farbspur entfernt hinterließen diese Pflanzen ihren Umriss als Negativ in den Farbstreifen und wurden noch einmal mit der gleichen (ja eigentlich der aus dem Farbstreifen ausgeschnittenen) Farbe auf die Leinwand gedruckt. Ein indirektes/direktes Landschaftsbild aus der Natur, mit der Natur und über die Natur. Und über die Malerei. Kunst der Natur. Natur der Kunst, wie Rainer Beßling seinen Text über die neos und neolitos so wunderschön betitelt hat.
Auch in meinen weiteren ‚Malereien‘ hat sich die Natur und Landschaft eingeschlichen. Sie tauchen immer wieder auf, die floralen Ornamente und Gewächse. Als Seerosen, Pilze, Quallen, Bäume, Blumen, Blüten, Schilf und Gräser – mehr oder weniger direkt. Auch beginnen die botanischen Tapetenmuster des Jugendstils, sowie die Ornamente einer ungarischen Musterwalze durch die Arbeiten zu wandern und den nach innen geholten Außenraum wieder freizulassen. Es entstehen Wiesen, Wälder, Flechten, Moose, Landschaften, Seen. Die Farbe fließt oder zeigt Gestus. Farbschichten, Ebenen und Strukturen überlagern und verbinden sich zu neuen kontemplativen Räumen und eröffnen dem Betrachter eine andere Welt.
Diese Arbeiten aus meinem Herbarium gehören sozusagen zur Entstehungsgeschichte der hier gezeigten neos und neolitos. Erst dachte ich diese, als Hinführung in die Ausstellung mit aufzunehmen, sie zu zitieren. Als Beleg- oder Referenzexemplare, sogenannte Herbare, merkte aber, dass dies gar nicht notwendig, oder vielleicht auch zu didaktisch ist. Der Titel jedoch ist geblieben und setzt sich auch in der Ausstellung fort. So heißt die 8-teilige Lampeninstallation mit den Glaslampenschirmen und den verschiedenfarbigen Kabeln herb, was an eine Abkürzung für Herbert denken lässt und tatsächlich gibt es eine Referenzarbeit aus dem Jahre 2001, welche eve (als Reminiszenz an Eva Hesse beziehungsweise als Abkürzung für evening) heißt und von einem in meiner sehr englischen Wohnung in London gefundenem rosa Glaslampenschirm inspiriert wurde. Herb steht aber natürlich auch für Kräuter und Heilpflanzen. Auch farbig steht ein salbei-grün, neben einem oliv-grün, korrespondiert mit einem Thymian- Maiglöckchen- oder Bärlauch-grün … Krautige Kabelstriche, die erblühen.
Die Natur als schöpferisches Prinzip ist ein Thema, das sich durch die gesamte Kunstgeschichte zieht. Was fasziniert Dich so daran? Woher kommt das? Warum ist Dir das Thema so wichtig?
Wahrscheinlich ist es der komplexe Kreislauf des Lebens überhaupt, der diese Faszination ausmacht. Die eigene Endlichkeit. Das große Ganze. Dass alles in allem schon angelegt und alles mit allem verbunden ist – in der größten Pflanze, im kleinsten Samenkorn – in dem allem zugrundeliegenden Bauplan, dem Konstruktionsprinzip, der Aufstellung, der Verschränkung von Innen und Außen.
Müsset im Naturbetrachten
Immer eins wie alle achten.
Nichts ist drinnen, nichts ist draußen;
Denn was innen, das ist außen.
So ergreifet ohne Säumnis
heilig öffentlich Geheimnis.
(Goethe)
Und Rilke, welcher eine ganz besondere Beziehung zu Worpswede hatte, schreibt:
Durch alle Wesen reicht der eine Raum:
Weltinnenraum. Die Vögel fliegen still
durch uns hindurch. O, der ich wachsen will,
Ich seh hinaus, und in mir wächst der Baum.
(Rilke)
Und in mir wurzelt die Seerose, möchte ich für mich hinzufügen, „no mud, no lotus“ (hier zitiere ich den Meister des Zen Buddhismus Thich Nhat Hanh) als Blüte der Transformation, als Stimmungsbild, Sinnbild, innere Landschaft, als Sehnsuchtsort und -zustand.
Wenn ich das richtig sehe, so sind die meisten Bilder der Ausstellung im Kunstverein Kohlenhof in einer Technik entstanden, die Du zum ersten Mal angewandt hast? Die neos und neolitos bilden quasi eine eigene neue Werkreihe. Seit wann arbeitest Du mit dieser Technik? Und magst Du uns verraten, wie diese funktioniert oder ist das ein Betriebsgeheimnis?
Ende 2020 sind die ersten neos in dieser Form entstanden. Eigentlich durch Zufall, die Auswaschung einer zu realistisch geratenen Seerose/Eisblume noch in der durch den Worpsweder Aufenthalt inspirierten Malerei mit Musterwalze und Schablone. (Auch hier die Verbindung von Innen und Außen – Landschaft / Tapete – Natur und Ornament). Bei den neos wie neolitos verwende ich auch keine weiße Farbe, die Form entsteht nur durch die Auswaschung mit Wasser, welche die grundierte Leinwand (bzw. inzwischen den weiß grundierten Holzgrund) wieder freilegt.
Wir sprechen oder mutmaßen also eigentlich über die vermeintlichen Leerstellen im Bild, welche sich bei den kleinen neolitos wie Stellvertreter oder Ahnenportraits in den verschiedensten Familienaufstellungen vor meist einfarbigem Hintergrund positionieren. Bei den neos überlagern sich Farbschichten und Auswaschungen hingegen mehrfach und sind der Bauplan der Bildkomposition, welcher sich häufig ganz von selbst steuert. Hier arbeite ich ja an der Staffelei in der Senkrechten und das Wasser läuft ganz naturgemäß nach unten. Kein Geheimnis also.
In der Kunstauktion des Kunstvereins Kohlenhof waren die ersten dieser neos dann auch zum ersten Mal zu sehen. Noch ganz schutzlos, ganz ohne Firnis. Inzwischen sind die Firnisschichten (2021) zu einem dicken Cast aus Acrylharz angewachsen. (Hier arbeite ich mit einem Epoxidharzgemisch aus zwei Komponenten in der Waagrechten – auch keinerlei Geheimnis). Er schützt die Seerose, schirmt sie ab, gibt ihr Tiefe und Abgeschlossenheit, holt aber zugleich auch den Betrachter und den Umraum mit ins Bild.
Auch bei der Nachbehandlung durch Schleifen des seitlichen Bildrahmens wird dieses Innen/Außen wieder Thema und der Bildaufbau betont und der Betrachter entdeckt vielleicht das Fließen der Farbe über das zarte Wurzelwerk, das sich auf der unteren Bildkante manifestiert hat oder umgekehrt.
Das hört sich nach einem sehr aufwändigen Arbeitsprozess an. Jedenfalls empfinde ich das Resultat bzw. die Wirkung als sehr poetisch. Ein interessanter Aspekt ist auch, dass Du der Bearbeitung dieser „sogenannten Leerstellen“ große Sorgfalt und Aufmerksamkeit widmest und, dass sich dieser Prozess gewissermaßen auf uns Betrachter überträgt, in dem WIR dann diesen „Leerstellen“ ebenfalls entsprechende Aufmerksamkeit widmen. Wir werden durch die Leerstelle geradezu magisch angezogen, um genau hinzusehen.
Den Prozess steigerst Du dann noch dadurch, dass sich Betrachtende im Bild spiegeln. Den Betrachterinnen und Betrachtern kommt in diesen Bildern somit eine, diese konstituierende Rolle zu. „Der Betrachter ist Bild“ würde Wolfgang Kemp, der Begründer der Rezeptionsästhetik, sagen. Er hat sich auch mit dem Thema der Leerstellen und Unbestimmtheitsstellen intensiv auseinandergesetzt. Der Aspekt der „Vervollständigung“ des Kunstwerkes durch den Betrachter ist hier ein grundlegender Aspekt. Das wird einem meist auch klar, wenn man sich Zeit nimmt und sich auf die Arbeiten wirklich einlässt.
Bist Du darauf schon angesprochen worden? Nehmen Rezipienten das bewusst wahr oder eher intuitiv?
Häufig beginnt die Frage nach der Leerstelle – und es war natürlich keine bewusste Intension Leerstellen nach Wolfgang Kemp zu schaffen, auch wenn ich seinen Schriften in den Vorlesungen zur Theorie der Fotografie während des Examens häufig begegnet bin – erstmal mit der Frage nach dem Entstehungsprozess der Arbeit, auch wenn man sich bis dahin so weit schon selbst vorgearbeitet hatte, wie um sicherzugehen. Und dann taucht die Frage nach der Gegenständlichkeit der Malerei auf. Ein Abgleichen mit uns Bekanntem. Und das ist für mich immer besonders spannend, da es wirklich sehr unterschiedliche Einordnungen sein können. Auch ich frage mich häufig, warum ich bei den neos meist an Seerosen denke – verrate ich ja sonst eher nicht. Weil ich sie damals (2020) als zu realistisch oder dekorativ aus einer Arbeit ganz unauffällig heraus wässern wollte? Weinende Seerosen? In den neolitos sind es bei mir eher Bäume und Wälder, welche ich sehe. Dabei ist es das gleiche Vorgehen, die gleiche Form, der gleiche Pinsel … Ja sind die neolitos sozusagen die Ableger oder Kinder der neos. Hier in der Ausstellung hängen sie einmal wie Familienbilder – organisch – an einen Stammbaum erinnernd. Zum anderen ganz offiziell und streng als in den Ausstellungsraum hineinführende Ahnenreihe.
Von Rainer Beßling gibt es einen wunderbaren Text zu diesen neos und neolitos. Betitelt mit Natur der Kunst. Kunst der Natur. Für diesen sehr erhellenden Text, welcher in meinem aktuellen Katalog zu finden ist, möchte ich ihm an dieser Stelle ganz besonders herzlich danken. Vieles wird mir über meine Arbeit auch erst im Nachhinein klar und es ist wahrscheinlich bei mir wie beim Betrachter eher das Unterbewusste, welches sich Wege in die Inhaltlichkeit sucht, welches uns Begegnungen in uns und mit uns sowie in und mit der Natur in diesen Arbeiten finden lässt. Ist der Malprozess erst abgeschlossen, sind auch mir die Arbeiten gewissermaßen fremd, weiß ich nicht mehr genau wie sie entstanden sind, könnte ich keine von ihnen genauso wiederholen, kann mich dafür aber in ihnen verlieren. Genau, wie Du, empfinde auch ich sie als sehr poetisch, gerade auch als sehr tröstlich, kontemplativ, oft aber auch als munter und inspirierend und voller Energie. Wahrscheinlich sind sie ein kleiner Spiegel unserer selbst – was sicherlich auch diesen Leerstellen zu verdanken ist, welche wir so fühlen und füllen.
Wie man sieht, können diese Leerstellen zu einer Menge von interessanten Gedanken und Interpretationen anregen. Als Kunstwissenschaftler kommen mir bei Seerosen natürlich sofort die Bilder von Monet in den Sinn. Andererseits lassen die Leerstellen in Kombination mit der Farbe von Blau bis Türkisgrün auch an Unterwasserwelten oder Weltraum denken.
Dieses Ermöglichen neuer gedanklicher Horizonte, das Interpretationsoffene, ist nicht zuletzt eines der Kriterien, die »gute« Kunst auszeichnen. Und durch die Leerstellen ergibt sich außerdem noch die ambivalente Frage nach dem Umgang mit unserem Planeten. Man könnte die neolitos auch so verstehen, dass die eigentliche Natur im 21. Jahrhundert nun aus den Bildern verschwunden ist. Wie siehst Du diese Ambivalenz, die meines Erachtens in den Arbeiten durchaus mit drinsteckt. Also, dass wir einerseits die Natur zerstören und andererseits künstlich erzeugen.
Sind die neolitos für Dich auch Ausdruck, Sinnbild für den zunehmenden Verlust an Natur?
Es stimmt, dass es andere Welten sind, in welche man eintaucht, Welten, die sich überlagern und verweben, die verschwimmen und manchmal auch untergehen, um wieder aufzutauchen. Welche Weltraum und Tiefsee, aber auch Malerei und Gestus sein können. Bei welchen man nicht weiß, wo sie sich befinden, welchen aber eine Suche nach Inhalt und Bedeutung innewohnt. Sei es die Sehnsucht nach unzerstörter Natur, nach Idyll, Paradies und Glück, nach Loslassen und Vergessen. Die Leerstellen kleine Kapsel auf dem Weg durch Raum und Zeit. Durch Kunst und Natur. Innen und außen. Spaceshuttles. Gedankenblasen aufsteigend. Herabsinkend. Geschützt, aber gleichzeitig auch hervorgehoben, unter die Lupe genommen durch diese dicke Acrylharzschicht.
Die Auslöschung von Inhalt erzeugt den Inhalt. Vielleicht widerspricht es dieser Sehnsucht nach unzerstörter Natur, mit diesen künstlichen Materialien zu arbeiten. Vielleicht spiegelt sich die Sehnsucht darin, etwas zu konservieren, hervorzuheben, erst sichtbar zu machen. Aber ja, vielleicht sollten wir auch alle mal wieder zu einfachen Naturmaterialien und -pigmenten zurückgehen und die Pflanzen und Natur selbst als Gestaltungsmittel einsetzen … Es ist auf jeden Fall eine Frage, welche mich beschäftigt und welche auch dabei ist in neue Arbeiten und Projekte einzufließen …
Zum Abschluss: Gibt es sonst irgendetwas zu erwähnen, was Dir wichtig ist? Was ist als nächstes geplant? Neue Werkreihen, Ausstellungen?
Wichtig sind mir natürlich die Ressourcen unserer Erde und der Schutz der Natur. Natürlich! Als Nächstes wird es in der Orangerie des Bismarck-Museums in meiner Heimatstadt und neuem UNESCO-Welterbe Bad Kissingen eine große neos-Arbeit, eine große Lackfarblache mit Paddeln (Am Rudern) und kleine Farbwölckchen (seen) in der Gruppenausstellung natürlich! zu sehen geben. Hierzu herzliche Einladung zur Eröffnung am Sonntag, den 18. September 2022.
Im Winter darf ich dann mit Konrad Winter – unter dem Titel Winterbilder – meine Winterbilder, eine malerische Weiterentwicklung meiner Urlaubsbilder (Winter) welche einige vielleicht noch aus der Ausstellung zum Ende einer Dienstzeit im Galeriehaus Defet von mir kennen, im Projektraum der DavisKlemmGallery in Hochheim am Rhein in neuem Kontext präsentieren. 2023 geht es dann weiter bei Gerhard Rießbeck in seinen Central Lichtspielen in Bad Windsheim.
Eine virtuelle Ausstellung meiner neos und neolitos ist momentan auf der Website der Galerie Kersten zu finden. Weitere Ausstellungen, Ausstellungsbeteiligungen, Termine und Projekte werde ich auf meiner hoffentlich bald aktualisierten Website bekannt geben und freue mich schon auf zahlreiche Wiedersehen und viele neue Begegnungen.
Geplant ist natürlich auch eine Veröffentlichung dieses Interviews und ein kleines Herbarium als Dokumentation dieser Ausstellung. An dieser Stelle noch einmal vielen Dank an den gesamten Kunstverein Kohlenhof und dessen 1. Vorstand Daniel Bartmeyer, an Ulrike Rathjen für die natürlich wieder wunderschöne Eröffnungsrede, Rainer Beßling für den wunderbaren Katalogtext, an Annette Kradisch für die tollen Fotos, an Konrad Winter für die hochauflösenden Repros, die spontanen Portraitaufnahmen und die tatkräftige Unterstützung in allen Lebenslagen …, an Dich, liebe Eva Schickler, für dieses inspirierende Gespräch und auch an Alexander Racz von kunstnuernberg.de für die Veröffentlichung des Interviews!
Vielen Dank für das Gespräch Katja Then, es war mir eine Freude!
Katja Then im Netz:
> Katja Then bei Instagram
Liebe Katja,
manchmal dauert es etwas länger, bis ein Text oder ein Bild so nahe herankommt, dass es kein Vorbeischauen gibt.
Das ist bei mir heute so, and einem eher trüben Novembertag.
Das Leuchten Deiner Arbeiten steht in so einem guten Spannungsfeld zur Zartheit von Schlieren, von Verwaschungen, von glänzendem Lack, von Spiegelungen.
Ich freue mich schon auf weitere Arbeiten von Dir und hoffe auf ein Wiedersehen. Mein Dank geht auch an Eva, die mit ihrem kunsthistorischen Blick hinter die Fassade führt.
Liebe Hellga,
DANKE für Deine Gedanken und Deinen Dank!
Beste Grüße
Eva Schickler