Das Quelle Areal Nürnberg blickt auf einen wechselvolle Geschichte zurück und bietet Architektur und Raum im Überfluss. In zwei Artikeln gebe ich alle Informationen, die ihr für einen Einstieg in die Quelle – Thematik relevant sind.
Das Quelle Areal Nürnberg – Mein Kultur-Tipp für Euch
- Adresse: Fürther Straße 205-215, 90429 Nürnberg
- Bauzeit: Quelle-Versandzentrum 1955-1958 (Nebengebäude bis in die 1960er Jahre)
- Architekt: Ernst Neufert
- Bauherr: Gustav Schickedanz
- Fläche: ca. 256.000 Quadratmeter (Angaben variieren in Netz)
Die Kulturbloggerin Tanja Praske hat eine Blogparade mit dem Titel “Mein Kultur-Tipp für Euch” gestartet und alle Blogger aufgefordert, sich zu beteiligen. Ich nehme die Aufforderung gerne an und berichte über das Quelle Areal Nürnberg, die zweitgrößte, leerstehende Immobilie Deutschlands und ein künstlerischer Hotspot in Franken.
In Teil 1 lege ich die Basis für ein Verständnis der heutigen Situation auf dem Quelle Areal Nürnberg. Die Geschichte des Quellekonzerns und die Architektur des Quellegebäudes werden besprochen.
Teil 2 beleuchtet den status quo des Quelle Areals Nürnberg und gibt einen Ausblick auf die Entwicklung der Kunst an diesem wichtigen Ort für Nürnberg und der Region.
Gustav Schickedanz und die Geschichte der Quelle – Konzerns
Das Versandhaus Quelle wurde am 26. Oktober 1927 von Gustav Schickedanz (1895–1977) in Fürth gegründet und entwickelte sich zu einem der wichtigsten und größten Versandhäuser Europas.
Bevor es jedoch dazu kommen sollte zerstörten Bomgenangriffe 1943 das Lager der Quelle und der Versand kam zum Erliegen. Die Quelle stand kurz vor dem Aus.
Auf dieses vermeintliche Ende folgte in der Nachkriegszeit ein schwindelerregendes Wachstum. Die Bürger wollten nach den Entbehrungen des Krieges wieder Geld ausgeben und sich des Lebens freuen. Diesen Wunsch bediente der zwischenzeitlich wegen seiner NSDAP-Zugehörigkeit in Haft befindliche Schickedanz, indem er ab 1948 das Versandunternehmen erneut aufbaute.
1954, ein Jahr vor dem Neubau des Quelle Versandzentrums an der Fürther Straße betrug der Umsatz des Unternehmens Quelle 260 Millionen Mark. Nach zahlreichen Eingliederungen weiterer Unternehmen in den Konzern betrug der Umsatz 1974 bereits 6,4 Milliarden Mark bei 36.000 Mitarbeitern.
Der Erfolg der Quelle schlug sich selbstverständlich in der Entwicklung der Wirtschaftsstandorte Nürnberg und Fürth nieder.
1999 wurde die Quelle in eine Aktiengesellschaft umgewandelt (Quelle Schickedanz AG & Co) und fusionierte mit dem Warenhauskonzern Karstadt AG zur KarstadtQuelle AG, ab 2007 Arcandor AG.
Zehn Jahre später meldete die Quelle am 9. Juni 2009 Insolvenz an.
Anschließend wurden die Namensrechte an Quelle vom ehemaligen Konkurrenten, der Otto Group, gekauft.
Von dieser langen Firmengeschichte, die auch die deutsche und regionale Geschichte spiegelt und mitgestaltete ist heute noch das 6,8 ha große Versandzentrum an der Fürther Straße 205-215 in Nürnberg sowie Nebengebäude und Freiflächen erhalten. Es ist nach dem Berliner Flughafen Tempelhof die zweitgrößte leerstehende Immobilie Deutschlands.
Warum soll man die Quelle retten? Lesen Sie hier meinen Aufruf zum Erhalt der Quelle.
Der Architekt und die Architektur des Quelle Versandzentrums an der Fürther Straße in Nürnberg
Die architektonische und kunsthistorische Bedeutung des Quelle Versandzentrums als Juwel der 1950er Jahre steht außer Frage und wurde bereits von vielen renommierten Kunsthistoriker, wie der ehem. Direktorin des Neuen Museum in Nürnberg, Dr. Angelika Nollert, bestätigt.
Bereits ein Blick in die Vita des Architekten macht dies schnell deutlich.
Ernst Neufert. Der Architekt des Quelle Areals Nürnberg
Das Quelle – Gebäude wurde von dem äußerst renommierten deutschen Architekten Ernst Neufert entworfen:
Ernst Neufert (* 1900 in Freiburg an der Unstrut; † 1986 in Rolle, Schweiz) absolvierte 1920 ein Studium am Bauhaus in Weimar und reiste daraufhin als Kirchenzeichner nach Spanien, wo er Antoni Gaudí persönlich treffen konnte und daraufhin dessen Architektur in Deutschland rezipierte.
Anschließend lehrte er am Bauhaus unter Walter Gropius, wo er an neuen Bauhausbauten und den Meisterhäusern für Wassily Kandinsky, Paul Klee und Georg Muche in Dessau arbeitete.
Sehr erfolgreich ist bis heute sein 1936 veröffentlichtes Lehrbuch Bauentwurfslehre, Handbuch für den Baufachmann, Bauherren, Lehrenden und Lernenden (Amazon-Link), das in 40 Auflagen erschienen ist und in 18 Sprachen übersetzt wurde. Ein wahres Standardwerk für Architekten und Bauleute.
Der enorme Erfolg seines Buches rief Neufert ins Bewusstsein der NS-Verwaltung, die den Architekten 1943 als Reichsbeauftragten für Baunormung einsetzte. 1944 wurde er als Mitarbeiter in Albert Speers Arbeitsstab für den Wiederaufbau bombenzerstörter Städte aufgenommen. Er nahm also eine wichtige Funktion im NS-Staat Hitlers ein, was man ihm zu Lasten legen muss.
Nach dem Krieg wurde Ernst Neufert Professor für Baukunst an der Technischen Hochschule Darmstadt und 1953 gründete er ein eigenes Architekturbüro, das auch den Auftrag für das Quelle–Versandhaus an der Fürther Straße in Nürnberg erhalten sollte.
Möchte man die Architektur des Quellegebäudes richtig bewerten, darf man also nicht vergessen, dass es von einem renommierten und wichtigen Architekten, mit NSDAP-Vergangenheit, erbaut worden war. Deutsche Vorkriegsgeschichte haftet also auch an dem Bauwerk. Es erinnert über seinen Architekten an die Weimarer Republik, Nazi-Deutschland und den Wiederaufschwung der 1950er Jahre.
Die Architektur des Quelle Versandhauses in Nürnberg
Das Quelle – Gebäude wurde von 1955 bis 1958 errichtet und ist somit ein “50er Jahre Bau” Dennoch erinnert seine Architektur an die Formensprache des Bauhaus vor dem Krieg.
Das Quelle – Versandhaus an der Fürther Straße 205-215 und ist als Stahlskelettbau errichtet worden. Die Fassade zur Fürther Straße hin, ist über 250 m lang und von turmartigen Treppenhäusern in vier Bauteile gegliedert. Das rechteckige Gebäude hat vier Geschosse und fasst zwei ebenfalls rechteckige Innenhöfe ein.
Markenzeichen des Quelle-Gebäudes sind die durchlaufenden Fensterbänder und gelben Klinkerbrüstungen, die der Architekt Ernst Neufert dem 1911 von Walter Gropius geschaffenen Fagus Werk in Alfeld (seit 2011 Unesco Weltkulturerbe) entlehnte. Architektonisches Vorbild für die Wahl der Klinker sind die englischen Backsteinfabriken des 19. Jahrhunderts, die im Zeitalter der Industrialisierung aus dem Boden schossen und die englischen Industriestädte mit dem sprichwörtlich gewordenen schwarzen Rauch und Ruß überzogen.
Die gelben Backsteine ragen an einigen Stellen vor die Fassadenflucht. Diese Backsteine lockern die flache, funktionale Fassade auf. Die Wirkung entfaltet sich aus der Ferne besonders gut.
Mit seinem funktionalistischen Entwurf knüpft das Quellegebäude in der Nachkriegszeit bewusst an die Klassische Moderne der Weimarer Republik und die Bauhaus Architektur an. Genau diese Tatsache macht das Gebäude zu einem herausragenden und schützenswerten Bauwerk der Nachkriegszeit. Ein Versandhaus der 1950er Jahre in diesen riesigen Maßen stellt zudem eine architektonische Besonderheit dar, die es zu erhalten und zu beleben gilt.
Nur das unweit am Nürnberger Plärrer gelegenen Hochaus erreicht eine ähnliche hohe Bedeutung in der Nürnberger Architektur der 1950er Jahre.
Nebengebäude und Quelleturm
Neben dem Hauptgebäude ist das Pförtnerhaus des Quelle-Versandhauses an der Wandererstraße 80 erwähnenswert. Der erdgeschossige Bau ist mit einem asymmetrischen Flugdach abgedeckt und wurde kurz nach 1960 von Ernst Neufert entworfen.
Das Wahrzeichen des Quelle Areals Nürnberg ist ohne Zweifel der 90 Meter hohe Quelleturm.
Ursprünglich als Schornstein nach Entwürfen von Ernst Neufert 1964 erbaut, wurde er später als Werbeturm genutzt. An allen vier Seiten des Kopfes prangte das beleuchtete Quelle-Firmenlogo (eine Beschwerde wegen Lichtbelästigung führte zur Abschaltung der Lichtreklame). Im Inneren befinden sich noch zwei Ziegelsteinkamine (früher drei) und ein Aufzug.
Der Turm wurde 2006 als Teil des Ensembles Wandererstraße 89 in die Denkmälerliste der Stadt Nürnberg aufgenommen.
In Teil 2 erfahren Sie, wie es derzeit um die Quelle steht und welche Rolle die Kunst dabei spielt. Außerdem wird der Verein Wir kaufen die Quelle e.V. vorgestellt.
Lieber Alex,
wie wunderbar – danke dir dafür! Ich fühlte mich sogleich ins zweite Studiensemester der Kunstgeschichte zurückversetzt: Es ging um “utopische Architektur”. Hier schrieb ich eine Arbeit über Erich Mendelssohn, ein Zeitgenosse Ernst Neuferts. Es ging um sein zeichnerisches Werk – Architekturen, die bis auf wenige Ausnahmen nie umgesetzt wurden, da sie utopisch waren.
Danke, dass du diese Erinnerungen wieder hervorrufst. Jetzt bin ich sehr gespannt auf den zweiten Teil.
Regnerische Grüße
Tanja