Janina Christine Brügel hat für ihre Ausstellung im Stadttheater Fürth das Gedicht Menschen bei Nacht von Rainer Maria Rilke in die Malerei übertragen.
Die Ausstellung eröffnet am 13. März 2016, um 11 Uhr im Stadttheater Fürth.
Das Gedicht „Menschen bei Nacht“
Rainer Maria Rilke, 25.11.1899, Berlin-Schmargendorf
Die Nächte sind nicht für die Menge gemacht.
Von deinem Nachbar trennt dich die Nacht,
und du sollst ihn nicht suchen trotzdem.
Und machst du nachts deine Stube licht,
um Menschen zu schauen ins Angesicht,
so musst du bedenken: wem.
Die Menschen sind furchtbar vom Licht entstellt,
das von ihren Gesichtern träuft,
und haben sie nachts sich zusammengesellt,
so schaust du eine wankende Welt
durcheinandergehäuft.
Auf ihren Stirnen hat gelber Schein
alle Gedanken verdrängt,
in ihren Blicken flackert der Wein,
an ihren Händen hängt
die schwere Gebärde, mit der sie sich
bei ihren Gesprächen verstehn;
und dabei sagen sie: Ich und Ich
und meinen: Irgendwen.
Janina Christine Brügel über M E N S C H E N B E I N A C H T
Die Entstehung: Für die Ausstellung im Stadttheater Fürth wollte ich etwas malen, was einen Bezug hat zur Tradition, zur Bedeutung und Tiefe der Kunstformen „Schauspiel“ und „Dichtung“, und ganz klar zum Menschen, der mich als Thema allumfassend reizt, und mich beim Malen inspiriert.
So kam mir die Idee, eines meiner Lieblingsgedichte von Rilke auf meine eigene Art zu interpretieren. Das Gedicht heißt: „Menschen bei Nacht“.
Es ist ein dunkles, tragisch schönes und ein bisschen deprimierendes Gedicht.
Hier zeichnet einer der größten deutschen Dichter vor weit über hundert Jahren ein treffendes, zutiefst pessimistisches Menschenbild. Ein Menschenbild, das, wie ich finde, aktueller denn je ist.
Gerade heute, in diesen teilweise menschenunwürdigen, vom Terrorismus bedrohten, kriegerischen und einsamen Zeiten, in denen der Humanismus nicht gerade in seiner Blüte steht.
Die Nächte sind nicht für die Menge gemacht.
Von deinem Nachbar trennt dich die Nacht,
und du sollst ihn nicht suchen trotzdem.
Und machst du nachts deine Stube licht,
um Menschen zu schauen ins Angesicht,
so musst du bedenken: wem.
Im ersten Teil des Gedichtes spricht Rilke vom einzelnen Menschen, der abends/nachts für sich in seiner Wohnung sitzt. Jeder von uns könnte dieser Mensch sein. Die Szenerie ist eher düster, der Mensch ist allein und ist mit diesem Zustand wohl aber nicht zufrieden.
Diese Stimmung wollte ich in meinen ersten Bildern einfangen: Die Bilder sind ruhig, friedlich, aber nicht fröhlich. Der Hintergrund ist gerollt und die Farbe relativ großflächig aufgetragen, um eine flächenhafte Dichte, die ein bisschen beklemmend wirken kann, zu erzeugen und die Einsamkeit der Figur/der Figuren zu unterstreichen; die Farben sind eher dunkel, um das nächtliche Milieu einzufangen.
Im ersten Bild sitzt ein Mann nachts in einer Bar – aber, wie auch die anderen Menschen auf dem Bild, ist er zwar unter vielen Menschen. Und bleibt doch allein.
Die Menschen sind furchtbar vom Licht entstellt,
das von ihren Gesichtern träuft,
und haben sie nachts sich zusammengesellt,
Hier schildert Rilke, warum man nachts nicht nach Gesellschaft suchen sollte: Die Menschen sind furchtbar vom Licht entstellt, das von ihren Gesichtern träuft. Doch das ist noch nicht alles. Gesellen sie sich nachts zusammen, wird es richtig wild, sie feiern, der Wein fließt, alles riecht nach Exzess.
so schaust du eine wankende Welt
durcheinandergehäuft.
Auf ihren Stirnen hat gelber Schein
alle Gedanken verdrängt,
in ihren Blicken flackert der Wein,
Diese Wendung des Gedichtes soll sich auch in meinen Bildern spiegeln: Die Menschen sind außer Rand und Band, anzüglich, vulgär, sogar nackt, nicht mehr Herr über sich selbst. Die Farben kräftig bis schreiend, der Hintergrund teils schlampig bis fahrlässig, leichtsinnig, chaotisch hingeschmiert.
Inzwischen ist der Abend weit fortgeschritten, die Dämmerung bricht nun bald an, die Kräfte sind erschöpft. Die Szenen werden wieder gemäßigter.
Betrunkene führen weitschweifig, gestenreiche, vermeintlich tiefschürfende Gespräche, in denen sie sich wunderbar einig sind (verstehen), da jeder nur von sich spricht. Ich und ich, der Andere wird zur Plattform degradiert, für ihn interessiert sich niemand, man macht sich nicht einmal die Mühe, diesen Anschein zu erwecken. Ich und ich, und doch: inhaltlich wird nichts vom „Ich“ vermittelt, nichts Wesentliches, nichts Echtes oder gar Persönliches erzählt. Die Gespräche bleiben hohl, sie kratzen nicht einmal an der Oberfläche.
an ihren Händen hängt
die schwere Gebärde, mit der sie sich
bei ihren Gesprächen verstehn;
und dabei sagen sie: Ich und Ich
und meinen: Irgendwen.
Auf dem letzten Bild (eines der größten, 150 x 140 cm) sitzen die Protagonisten auf einem Kinderkarussell, auf die zu kleinen Tiere gequetscht, der Blick wässrig, die Augen blutunterlaufen, jeder ist bei sich in seiner eigenen verrückten Welt, jeder scheint gierig und unersättlich „Mehr, mehr“ zu rufen. Die anderen sind egal.
Am Rechten Rand sind noch die dunklen Zipfel der Nacht zu sehen, auf dem Rest des Bildes ist der Morgen, der hier nichts Gutes bringen kann, schon angebrochen. Über dem Karussell schweben Schweineköpfe, die unterstreichen, was wir sowieso schon wissen: Ist der Mensch seiner Empathie, seines Interesses für den Mitmenschen, seiner Kontrolle und seiner Vernunft beraubt, kann er direkt auf das Tierische, das Fleischliche reduziert werden und ist der Bezeichnung „Mensch“ nicht mehr würdig.
Rainer Maria Rilke ist mit seinem Gedicht „Menschen bei Nacht“ meisterhaft gelungen, in nur wenigen Strophen ein schonungsloses und zeitloses Portrait des Menschen zu zeichnen: Knallhart enttarnt er das menschliche Miteinander: Die Unerträglichkeit der Einsamkeit, die gerade nachts laut nach Hilfe ruft; das Benutzen, das Instrumentalisieren des Anderen, um die Erfüllung der eigenen, unerfüllten Bedürfnisse und Sehnsüchte zu erzwingen. Die verzweifelte Suche danach, sich selbst und das Leben spüren zu wollen, weil man dazu allein nicht in der Lage ist. Bis hin zur Aufgabe aller menschlichen Würde.
B I O G R A P H I E
Janina Christine Brügel wurde 1983 in Nürnberg geboren und machte das Abitur am humanistischen Melanchthon-Gymnasium Nürnberg.
Studium „des Menschen“ in Form von Humanmedizin an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen, Abschluss mit dem zweiten Staatsexamen 2009.
Seit 2003 stetiges künstlerisches Arbeiten, intensive Beschäftigung und Auseinandersetzung mit dem Zeichnen, der Malerei und dem Thema „Mensch“. Janina Brügel lebt in Erlangen und, arbeitet in Nürnberg.
Gaststudentin an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg.
Auf Kunstnürnberg ist im Jahr 2015 eine Review zu Janina Christine Brügels Ausstellung im Schloss Almoshof erschienen: Artikel Good Day im Schloss Almoshof lesen.
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Alle Abbildungen sowie der Text © Janina Christina Brügel