Jan Gemeinhardt – /ə/ /pɑːt/

Von Dr. Ulrike Schmitt

where are we going, 2018 Öl auf Leinwand 18 x 24 cm, Foto: Jan Gemeinhardt
where are we going, 2018 Öl auf Leinwand 18 x 24 cm, Foto: Jan Gemeinhardt

Die Ausstellung /ə/ /pɑːt/ des Künstlers Jan Gemeinhardt läuft vom 02.–29.12.2018 im Kunstverein Kohlenhof Nürnberg. Die Kunsthistorikern Dr. Ulrike Schmitt hat die Schau im Kunstverein besucht und eine Ausstellungskritik für kunstnuernberg.de verfasst.

Jan Gemeinhardt – /ə/ /pɑːt/

Schon der Titel verweist in seiner Mehrdeutigkeit auf ein wichtiges Moment in Gemeinhardts Schaffen, auf das Offene, Nicht-Festgelegte, Rätselhafte. Der Künstler erzählt in seinen Gemälden nämlich nicht eine bestimmte Geschichte, sondern lässt dem Betrachter die Freiheit, sie individuell zu sehen, ja zu lesen.

Bei der Ausstellung im Kunstverein Kohlenhof werden die Bilder, je nach Perspektive, als Teil (a part) eines Ganzen erfahrbar, aber auch für sich (apart) als Einzelne. Und schließlich ist ihnen auch die Eigenschaft des Aparten eigen, des, laut Duden, Ungewöhnlichen, von dem ein eigenartiger, aber eindeutig positiver Reiz ausgeht.

Sie gewähren, gleichsam wie aufgeschlagene Tagebücher, Einblick in einen eigenen, geheimen Kosmos. Auch in dieser Ausstellung überwiegen, abgesehen von einigen wenigen großen Arbeiten, die für Gemeinhardt typischen kleinformatigen, dadurch sehr intim wirkenden Bilder.

Ausstellungsansicht Kohlenhof, Foto: Jan Gemeinhardt
Ausstellungsansicht Kohlenhof, Foto: Jan Gemeinhardt

Der Maler hat sie hier, unter Bezugnahme auf den von ihm gewählten Ausstellungstitel, eng nebeneinander vor dunklem Hintergrund angeordnet, was den Aspekt Teil/Ganzes noch einmal unterstreicht. Es macht Vergnügen, die Bilder in ihrer Unterschiedlichkeit vor sich zu haben und in diese kleinen, für sich stehenden Welten einzutauchen. Unwillkürlich beginnt man, zwischen ihnen gedanklich Fäden zu spinnen, sie in ein großes Ganzes einzubetten.

Die Bilder entspringen alle der unbewussten Gedankenwelt, Gemeinhardt findet seine Motive, nach eigenen Aussagen, intuitiv. Die in seinen Bildern stetig wiederkehrenden Nadelwälder, Moorlandschaften und Seen verraten jedoch, dass sich der Künstler 2015 im Rahmen eines Stipendiums länger in Finnland aufhielt.

Auf den ersten Blick glaubt der Ausstellungsbesucher, maltechnisch meisterlich geschaffene klassische Landschaftsmalerei vor sich zu haben, doch bei genauerer Betrachtung wird er eines Besseren belehrt.

Der 1988 in Hof geborene Jan Gemeinhardt entführt den Betrachter in Bildwelten, von denen etwas Faszinierendes, Verblüffendes, aber auch Erschreckendes ausgeht. Fast immer drohen Gewitterwolken, reißende Wellen, beklemmender Nebel, Eis und Kälte, Dämmerung und Dunkelheit oder düstere Tannenwälder und undurchdringliches Dickicht. Gemeinhardts Bilder mischen sich mit wachwerdenden Erinnerungen, auch Ängsten und Befürchtungen. Es sind Spiegel innerer Welten, die uns allen vertraut sind: tief in uns verankerte Bilder, Bruchstücke aus nächtlichen Träumen, die einen mit Befremden zurücklassen. Sie konfrontieren sinnbildlich mit den Herausforderungen des Lebens, denen sich jeder von uns stellen muss: Verfall, Einsamkeit, Tod.

Immer wieder gemahnen Schädel oder Knochenteile in öder Umgebung zum memento mori, die Bäume sehen krank, ja fast tot aus, die Landschaft scheint gezeichnet von den durch die Menschen auferlegten Strapazen.

Gelegentlich wirkt es so, als brächte Gemeinhardt eine Welt auf die Leinwand, in der nur noch letzte Spuren menschlicher Zivilisation existieren, die, den natürlichen Kräften ausgesetzt, auch bald verschwinden werden. Auf einem Gemälde steht mitten in einer steinigen, baumlosen Anhöhe ein Hinweisschild, auf dem eine weitere Landschaft dargestellt ist, wie eine Landkarte oder ein Mahnmal, das uns sagen möchte: “So sah es hier einmal aus”.

2018 ÷l auf Leinwand 24 x 18 cm, Foto: Jan Gemeinhardt
o.T., 2018 Öl auf Leinwand 24 x 18 cm, Foto: Jan Gemeinhardt

Ähnliche Assoziationen weckt ein weiteres „Bild im Bild“, ein Waldstück, das auf einer in einer Wiese stehenden Staffelei lehnt, oben beleuchtet von etwas ähnlichem wie einer Neonröhre, die kühles Licht auf die Szenerie wirft. Auch hier sind die Bäume nur noch als Gerippe dargestellt, der Wald wirkt tot.

Vieles bleibt im Ungewissen und regt zum Nachdenken an. Jeder sieht in den Bildern etwas anderes, interpretiert auf seine Weise, manche Besucher werden sich an Geschichten aus Büchern oder Filmen erinnern.

2018 ÷l auf Leinwand 24 x 18 cm, Foto: Jan Gemeinhardt
crew, 2018 Öl auf Leinwand 24 x 18 cm, Foto: Jan Gemeinhardt

Gemeinhardt stellt nur wenige Menschen dar, sie kehren dem Betrachter den Rücken zu, ihr Gesicht ist verdeckt oder sie sind nur über die Umrisse wahrnehmbar. Wir wissen nicht, wer sie sind und was sie tun. Sie sind der Natur und deren Kräften: Wasser, Feuer, Wind ausgesetzt.

In einigen Bildern macht sich Orientierungslosigkeit breit, die ebenfalls als äußerst bedrohlich empfunden werden kann: Ein in einer kargen Landschaft stehender Wegweiser brennt und gibt eine qualmende Rauchwolke ab. Bald ist er verschwunden, wird noch irgendjemand den Weg kennen? Der unwiederbringliche Verlust ist auch Thema eines anderen, auf den ersten Blick sehr grausamen Werks: Das Brustbild eines Mannes, dessen Gesicht lichterloh brennt, dessen vollkommene Bewegungslosigkeit jedoch irritiert: Handelt es sich hier um einen tatsächlichen Menschen oder ist es wieder das „Bild im Bild“, das hier brennt?

Jan Gemeinhardt ist, trotz der vielen düster wirkenden Motive, ein humorvoller Mensch, was auch in seinen Bildern zum Tragen kommt, etwa, wenn er Baumpilze malt, die, wie Lämpchen, giftig neongelb in der Dunkelheit des nächtlichen Waldes leuchten, oder einen Nistkasten, in dessen Inneren Licht brennt.

Überhaupt ist das Leuchten etwas, das in allen Bildern signifikant ist: Gemeinhardt arbeitet mit unterschiedlichen Lichtquellen, häufig sind es der dunstig hinter Nebelschwaden und Wolken durchscheinende Mond, die wolkenverhangene Sonne oder das Bildfeld durchkreuzende Blitze.

Ausstellungsansicht Kohlenhof, Foto: Jan Gemeinhardt
Ausstellungsansicht Kohlenhof, Foto: Jan Gemeinhardt

Darüber hinaus gibt es viel Surreales, von dem Licht ausgeht: leuchtende, weiße Hirsche und undefinierbare Lichtobjekte, bei denen man ins Grübeln kommt, denn der Maler überlässt dem Betrachter die Interpretation. Auf einigen Bildern ragen, ebenso nicht näher bestimmbare, Gegenstände seitlich ins Bild hinein und irritieren. Sie verweisen auf eine Ebene, die der Landschaft übergeordnet ist, sie schieben sich gleichsam zwischen das Bild und den Betrachter und evozieren einen Bruch. Spätestens hier wird klar, dass es sich nicht um Landschaftsmalerei im herkömmlichen Sinne handelt.

Je länger man die Bilder betrachtet, umso mehr scheinen aber auch hoffnungsvolle Momente auf, vor allem versteht es Gemeinhardt, mit seinen Bildern Momente der Stille einzufangen.

Ausstellungsansicht Kohlenhof, Foto: Jan Gemeinhardt
Ausstellungsansicht Kohlenhof, Foto: Jan Gemeinhardt

 

Da ist beispielsweise das große, zentrale Bild eines auf dem höchsten Punkt einer steinigen Anhöhe stehenden, dem Betrachter zugewandten Menschen, über ihm der hellste Punkt im sonst trüben und verhangenen Himmel. Er hat Weitblick, ohne Hindernis kann er sich entscheiden, in welche Richtung es weitergehen soll. Am unteren Rand rote und gelbe Farbe die, je nach Perspektive, aufsteigt oder nach unten fließt, aus dem Bilde heraus, wie bei einer verblassten Fotografie, aus der schon alle Farbe gewichen ist.

Wie setzt Gemeinhardt dies alles technisch um? Mit etwas Abstand zum Bild wirkt das Dargestellte sehr konkret. Er beherrscht es, die stoffliche Beschaffenheit von Gestein, Gischt, Feuer, Nebel, Eis oder Schnee beeindruckend realistisch wiederzugeben, und er tut dies verblüffenderweise in erster Linie mit abstrakten Mitteln.

Vom Nahen betrachtet, zerfällt nämlich alles in stark pastos aufgetragene Farbschichten, in denen sich das Licht unterschiedlich bricht, was den Oberflächen letztlich eine stark haptische Wirkung verleiht. Was die Farbskala anbelangt, so bewegt sich der Künstler in dunklen, kühlen, sehr gedämpften Tönen, es überwiegen Schwarz, Weiß, Grau, Blau, dunkles Grün und Braun. Andere Farben werden sehr sparsam verwendet, mit ihnen setzt Gemeinhardt ins Auge stechende Akzente.

Es ist eine sehr sehenswerte Ausstellung, Gemeinhardt erreicht mit seiner Malerei, was Mallarmé einmal über die Dichtung meinte:

„Nicht die Dinge malen, sondern die Wirkung, die sie auslösen.“


Text: Dr. Ulrike Schmitt

Webseite Jan Gemeinhardt


 

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