Die Ausstellungshalle der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg zeigt im Rahmen der Jahresausstellung, wie jedes Jahr, Werke von Studierenden verschiedener Klassen als Gruppenausstellung.
Unter dem Titel „Going Headless“ realisiert Gastprofessorin Övül Ö. Durmuşoğlu in diesem Jahr eine konzeptionell komplexe Schau aus 31 Werken verschiedener Gattungen und Techniken.
Övül Ö. Durmuşoğlu lebt in Berlin und Istanbul und arbeitet als Kuratorin, Autorin und Forscherin. Sie widmet sich Themen an der Schnittstelle zwischen Gegenwartskunst, Politik, Gesellschaftstheorie und den Geschlechtern. Im Sommersemester 2017 lehrt sie als Gastprofessorin für kuratorische Theorie und Praxis an der Akademie in Nürnberg.
Das Ausstellungsprojekt „Going Headless“ an der AdBK Nürnberg
Das Ausstellungsprojekt „Going Headless“, dessen theoretisches Fundament Övül Ö. Durmuşoğlu an die Studierenden herantrug, entwickelte sich über die Frühlings- und Sommermonate im Rahmen von Projektseminaren und freier Tätigkeit kontinuierlich und profitierte von einer offenen Struktur.
So ist die Besonderheit der kuratorischen Tätigkeit von Övül Ö. Durmuşoğlu bei „Going Headless“, dass sich sowohl die Werke, als auch das Ausstellungskonzept in Zusammenarbeit von Kuratorin und Studierenden entwickelt haben.
Während einige Werke bereits begonnen worden waren, wurden andere eigens für die Ausstellung geschaffen. Diese Art des Kuratierens, über einen längeren Zeitraum hinweg und im gegenseitigen Austausch, innerhalb einer Projektgruppe von Studierenden miteinander, über die Entstehung des einzelnen und des gesamten Werks ist sowohl für die Akademie, als auch für Durmuşoğlu eine neue Erfahrung.
Mit „Going Headless“ nimmt Övül Ö. Durmuşoğlu Bezug auf die von Philosoph und Autor Georges Bataille und Freunden in den 1930ern gegründete Zeitschrift Acéphale.
Diese Zeitschrift, von der von 1936 – 1939 lediglich fünf Ausgaben erschienen sind, hat für Durmuşoğlu bis heute große Bedeutung hinsichtlich der Möglichkeit eine oppositionelle Position gegenüber politischen Machtstrukturen einzunehmen und Selbstermächtigung oder Selbstherrschaft über den eigenen Körper und die eigene Seele zu erlangen. Auch die heutige politische Lage, in der wir uns befinden, lässt uns Konzepte von Macht und Herrschaft hinterfragen.
Mit Acéphale als Ausgangspunkt ist für „Going Headless“ 2017 auch das Forschungsprojekt des schwedischen Künstlerduos Goldin+Senneby interessant:
In „Headless“ beschäftigten sich die Künstler mit Kapitalismus und seiner Funktion als „headless body of networks“ (Övül Ö. Durmuşoğlu: Going Headless During Interregnum: Self-Sovereignity and Togetherness. In: Künstlerisches Schaffen an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg. Kat. Ausst. 2017. S. 9.).
Durch die Erhebung der „Headlessness“ zur Methodologie hinterfragen sie das Wesen künstlerischer Autorschaft und verstehen sich als Rahmen oder Angebot für Kollaborationen, die die Forschung vorantreiben sollen.
Wie vielfältig die Interpretationen von und Perspektiven auf „Going Headless“ ausfallen zeigen die Arbeiten von 32 Studierenden aus den verschiedenen Klassen, denen man auf sämtlichen Ebenen innerhalb der Ausstellungshalle begegnet.
Das – gezwungenermaßen im Zick-Zack – Durchschreiten der Halle und der stetig wandernde Blick lassen ein lebhaftes Erscheinungsbild entstehen, das den diskursiven Entstehungsprozess erahnen lässt. Malerei, Skulptur, Plastik und Mischformen verschiedener Techniken wechseln sich mit Installationen, Video-Arbeiten und Beiträgen in Schriftform ab.
Susanne Dundlers Video ohne Titel beispielsweise dauert 1:56 Minuten und zeigt, auf einem auf dem Boden liegenden Flatscreen, eine Fashionshow des Designerlabels Maison Margiela. Über den Laufsteg schreiten, dem idealen Erscheinungsbild der Modewelt entsprechend, dünne Modelkörper, die alle das gleiche Gesicht tragen.
Durch Videomontage manipulierte die Künstlerin einen Ausschnitt des zu Werbe- und Dokumentationszwecken aufgenommenen Videos der Modenschau und hinterfragt so den Aspekt der Individualität, die Bedeutung des Individuellen im Gegensatz zur Homogenität, die aus gesellschaftlich konstruierten Idealbildern entsteht.
Den Bezug zum Titel „Going Headless“ lässt die Arbeit als eine der ersten, der man nach dem Betreten der Ausstellungshalle begegnet, durch die klare Verwendung des Kopfes als zentrales Gestaltungselement leicht herstellen.
Nebenan zeigt Fabian Bertelshofers Kombination aus Malerei und Skulptur (o. T., anotherlamp), die von hinten durch eine Lampe beleuchtet wird, auf einem hochformatigen Bildträger eine viertel Avocado mit Kern, aus der sich kabelartige Linien winden, die zugleich als Träger der Frucht zu fungieren scheinen.
Der Schatten des zentralen Bildmotivs erscheint grau auf einem durch ein grafisches Muster perspektivisch wirkenden Boden. Bertelshofer bedient sich des fast schon zum Symbol für den vielerorts gepflegten Körperkult erhobenen Abbilds einer Avocado und konfrontiert den Betrachter mit den Konzepten vom Streben nach Individualität und Homogenität bzw. Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe.
Im zweiten, kleineren Raum der Ausstellungshalle fesselt die Videoarbeit /R/ Going Headless von Guoxin Tian (full HD 16:9, 02:20 min, loop). Die Projektion an der weißen Wand wird, wie ein Altar von Kerzen, von zwei Objekten aus Metall und Keramik flankiert.
Ein weiteres plastisches Objekt, dessen Form an eine Krone erinnert, steht auf dem Beamer, der als Spitze eines imaginären gleichschenkligen Dreiecks die seitlich platzierten Objekte ergänzt.
Das Video erzählt von einem interaktiven Projekt, das über 52 Stunden auf der Online-Plattform Reddit stattgefunden hat. Die Community wurde dazu aufgerufen Punkte oder Kacheln auf einer Weltkarte zu setzen. Durch die Einschränkung zunächst nur einen Punkt setzen zu können, mussten sich Gruppen zusammenschließen um überhaupt Bilder entstehen lassen zu können.
Im Video zum Projekt überlappen sich gegenseitig nach und nach immer wieder die verschiedenen Landesflaggen oder bekannte Bilder wie La Joconde, die Mona Lisa.
Ein lebendiges Gemälde, das sich ständig verändert veranschaulicht die Möglichkeiten und Reichweite von Netzwerken, die ohne Kopf oder Anführer, im Kollektiv in Aktion treten. Mit /R/ Going Headless schuf Guoxin Tian ein neues Werk für die Projektausstellung mit Övül Ö. Durmuşoğlu.
In einer Ecke des dicht besiedelten Ausstellungsraums findet man an der rechten Außenwand, ebenfalls im zweiten Raum, ein Werk, das zum Innehalten anregt. Fast über die ganze Breite der Wand erstrecken sich abwechselnd Bücher und mit Glitzerfolie überzogene steinartige Betonobjekte.
Hier arbeiten Alexandre Karainov mit seiner global economy for dummies (2017) und Philipp Eyrich und Mateusz von Motz mit Philosopher´s Stone aus der Serie PMENERGY STONE (2017) zusammen.
Die schriftlichen Werke von Georges Bataille, Wilhelm Reich, André Breton, Marcel Mauss u. a., die hier platziert wurden, können als Bibliographie des Konzeptes gesehen werden und verkörpern den philosophischen, politischen und gesellschaftstheoretischen Inhalt von „Going Headless“.
Die Energiesteine aus Beton und glitzernder, schimmernder Folie von Eyrich/von Motz, die auch noch an anderen Stellen auf dem Campus verteilt sind, sind in Anlehnung an das Mineral Quarz entstanden, dem eine heilende Wirkung nachgesagt wird.
Sie sollen Energie produzieren und stehen in ihrer kitschigen (und das ist nicht negativ gemeint) Erscheinung für die intensive Auseinandersetzung mit heilenden Kräften und das Schöpfen aus Prozessen der Un-körperlichkeit des Forschens zur eigenen Spiritualität und der anderer.
Die Ausstellungshalle bietet, neben dem Außenbereich und der Fotowerkstatt, die dieses Jahr mit neuem Anstrich von Michael Ullrich aus der Klasse Jürgen Teller kuratiert worden ist, die Möglichkeit, künstlerische Arbeiten aus den verschiedenen Bereichen zu kombinieren und die Vielfältigkeit der Akademie(künstlerinnen und -künstler) zu veranschaulichen.
So schafft hier ein, durch die offene Struktur, sozusagen kopfloses Kollektiv aus 32+1 Individuen in der Zeit des „Interregnums“, der Zeit von Övül Ö. Durmuşoğlu Gastprofessur, eine Ausstellung, die unter dem Titel „Going Headless“ dem Betrachter auch einen Blick in den unsichtbaren Entstehungsprozess, auf die verschiedenen Positionen und Methoden gewährt. Ohne dass Individualität geleugnet würde, wird das Miteinander und dessen Bedeutung betont.
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Ebenfalls sind zur Jahresausstellung erschienen:
Furioser Auftakt der neuen Autorin! Und jetzt noch die alles entscheidende Frage: Lohnt die Ausstellung?
Vielen Dank! Caro wird sich sehr über das Feedback freuen! Wir fanden die gesamte Jahresausstellung der AdBK Nürnberg sehr interessant. Deshalb haben wir uns auch entschieden drei Artikel zu schreiben. Leider lief die Ausstellung nur vom 19. bis 23. Juli. Aber über die Artikel bekommt man zumindest einen Einblick 🙂
Hallo Kunstnürnberg Redaktion,
interessanter Artikel zur Jahresausstellung der AdBK Nürnberg! uns gefällt die Herangehensweise von der Zeitschrift Acéphale zu Going Headless. Unser Blog widmet sich im Allgemeineren der Zeitgenössischen Kunst und wir haben erst vor Kurzem einen Artikel über für Aufruhr sorgende Kunstobjekte verfasst, es würde mich freuen, wenn ihr mal reinschaut und uns Eure Meinung hinterlasst!
https://blog.singulart.com/de/2017/08/01/5-zeitgenossische-kunstler-die-fur-offentliche-aufruhr-sorgten/
Viele Grüsse 🙂