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Zurück und zum Mond … Jan Gemeinhardt & Gerhard Rießbeck in der Galerie Kunstkontor

Jan Gemeinhardt, Foto: Kunstkontor Nürnberg

Die Doppelausstellung in der Galerie Kunstkontor beschließt das Jahr, in welchem weltweit eine Reihe von Ausstellungen dem 50sten Jahrestag der Landung auf dem Mond gewidmet war.

Hier begegnen sich zwei Maler, der ältere Jahrgang 1964, der jüngere Jahrgang 1988, die beide eine beachtliche Liste an Ausstellungen vorweisen. Jan Gemeinhardt hatte allein im letzten und in diesem Jahr 14 Ausstellungen, Gerhard Rießbeck im selben Zeitraum 11 Ausstellungen. 

Wer hier Arbeiten der beiden Künstler zum ersten Mal sieht, der könnte bei einem flüchtigen Blick den Eindruck haben, dass es sich um eine Einzelausstellung handelt. Beide Maler arbeiten gegenständlich, sind aber keine gnadenlosen Realisten. Aber es ist wirklich nicht alleine das Format, das sie voneinander unterscheidet.

Jan Gemeinhardt ist ein Romantiker, er provoziert mit seinen nicht nach Fotografien gemalten Landschaften melancholische, manchmal sogar ausgesprochen düstere Stimmungen. Seine Formate zwingen mit ihrer Bescheidenheit den Betrachter in einen intimen Dialog. 

Gerhard Rießbeck hingegen kultiviert vor allem das, was man unter Denkmalerei versteht, er ist, wie es Thomas Heyden in einer Abwandlung des Begriffs genannt hat, ein „Gedankenmaler“. Von daher konstruiert er gewissermaßen Bild-Bühnen, die hin und wieder unbedingt ein großes Format brauchen. Selbstverständlich ruft auch er Stimmungen auf, aber in seinen Bildern hinterfragt er gerne sein Metier, die Malerei – man denke nur an die zahlreichen Varianten mit dem sogenannten „Haus des Malers“ –, und Rießbecks Bilder sind immer wieder Reflexionen über das Pathos bzw. das Pathetische, manchmal affirmative, manchmal kritische, manchmal ironische und augenzwinkernde Reflexionen.

Der Mond ist in der Kunstgeschichte kein neues Sujet. Aber vor dem späten 16. Jahrhundert und bevor das von Galileo Galilei optimierte Fernrohr erkennen ließ, dass der Mond eine Kugelgestalt hat und keine Scheibe ist, die Erdlandschaften spiegelt, war er in der abendländischen Kunst gemeinsam mit der Sonne ein Attribut Christi. 

Jan Gemeinhardt, Foto: Kunstkontor Nürnberg
Jan Gemeinhardt, Foto: Kunstkontor Nürnberg

In mehreren Holzschnitten zur Apokalypse von Albrecht Dürer um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert sind Sonne und Mond gleichberechtigt gestaltet mit sprechenden Gesichtern, denen man die Worte des Johannes ansieht, dass die Sonne nach der Öffnung des fünften Siegels des Buches Gottes „finster wurde wie ein schwarzer Sack“, der Mond hingegen „wie Blut“. Dass sie gleichberechtigt dargestellt werden, bezieht sich wohl auf die Genesis, in der verkündet wird, dass Gott zwei Lichter machte, ein großes für den Tag, ein kleines für die Nacht. Diese Verkündung richtete sich gegen die älteren Kulte, denn alle Astralkulte hatten die Sonne und den Mond zu eigenständigen Gottheiten erklärt. 

In einem weiteren Blatt Dürers zur Apokalypse steht (dies auch der Titel) „Die mit der Sonne bekleidete Frau…“ auf einer Mondsichel. Der Halbmond war schon in heidnischer Zeit ein Keuschheitssymbol, und so wird die Muttergottes zur Mondsichelmadonna, eine gleichermaßen keusche wie außergewöhnlich schöne Braut, „wie der Mond so schön“, wie es im Hohen Lied Salomos heißt. 

Karl Friedrich Schinkel malte 300 Jahre nach Dürer die „Königin der Nacht“, also die Figur aus Mozarts Zauberflöte, wie eine Mondsichelmadonna unter einem gewaltigen, symmetrischen Sternenhimmel, auch wenn es bei Schinkel eben keine Madonna ist, sondern die Allegorie der Nacht. 

Vor der Erfindung von Gaslicht und Elektrizität hätte es ohne den Mond als Lichtquelle wahrscheinlich weniger Nacht-Bilder gegeben. Seit Leonardo da Vinci beschäftigten sich Maler mit der Problematik der Farbe Schwarz. Leonardo malte die Übergänge zwischen Licht und Schatten noch verschwommen, Caravaggio und die ihm folgenden Caravaggisten grenzten die Übergänge scharf voneinander ab. Aber erst in der Romantik boomt der Mond so richtig, und viele von uns denken bei Gemälden vom Mond an Caspar David Friedrich. Bevor der Mond scheinbar nur noch in Kinderbuchillustrationen überlebte, hat ihn der große amerikanische Landschaftsfotograf Ansel Adams in ikonografischen Fotografien gefeiert.

Obwohl der Mond nun vor sich hin schrumpelt, weil er immer mehr erkaltet, und obwohl er sich weiter und weiter von der Erde entfernt, pro Jahr allerdings nur um 3,8 Zentimeter, beschäftigte er die Menschen früher und beschäftigt die Menschen heute mehr als die Sonne. 

Jan Gemeinhardt, Foto: Kunstkontor Nürnberg

Die Faszination am Mond ist leicht zu erklären, denn im Gegensatz zur Sonne, zu anderen Meteoriten oder Planeten zieht der Mond eigenartige Bahnen zu unterschiedlichsten Nacht-, aber auch Tageszeiten. Den Kreislauf des Lebens, versinnbildlicht in den Tierkreiszeichen, durchmisst er nicht erst nach einem Jahr, sondern schon nach circa 29 Tagen. Der griechische Mythos rund um die Mondgöttin Selene (Artemis) und ihren immer jungen Liebhaber Endymion versucht zu erklären, dass sämtliche irdischen Irritationen dem Einfluss des Mondes geschuldet sind. Womit die Furcht besiegt werden sollte davor, der Kosmos unterliege vielleicht den Gesetzen des Zufalls und nicht einem göttlichen Plan.

In präfeministischen Zeiten behauptete man einen schlechten Einfluss des Mondes auf das weibliche Geschlecht. In der Popkultur wie bspw. der Liebeskomödie „Mondsüchtig“ („Moonstruck“) mit Cher und Nicolas Cage in den Hauptrollen verwirrt der Vollmond über Manhattan das Gefühlsleben der weiblichen Protagonisten.

Ist 60 Jahre, nachdem erstmals eine sowjetische Sonde auf dem Mond aufschlug, und 50 Jahre nach der ersten von sechs Mondlandungen noch irgendetwas übrig von dem Zauber des Mondes, kann er noch eine Folie sein für poetische oder profane Sehnsüchte, was er ja über Jahrhunderte hin tatsächlich gewesen war? 

Kann es noch eine Philosophie des Mondes geben, freilich keine private, esoterische, sondern eine allgemeine geistige Bedeutung?

Gerhard Rießbeck sagt, dass ihn die Tatsache einer anderen (quasi einer Nicht-) Atmosphäre fasziniert, der Gedanke, dass die Schwerkraft geringer oder aufgehoben ist; er mag es, sich ein anderes Körpergefühl vorzustellen. Er wäre folglich ein heißer Anwärter auf ein Künstlerstipendium in der Raumkapsel.

Was nicht sehr viel unzeitgemäßer wäre als seine Fahrten auf dem Forschungsschiff Polarstern, bei denen er ja ebenfalls zwischen all den Forschern, die avancierte Technik nutzen, wie ein Fossil daherkam mit seinen Pinseln, der Ölfarbe, der Leinwand und dem Zeichenpapier.


Gerhard Rießbeck, Foto: Kunstkontor Nürnberg

Auch ohne den aktuellen Anlass dieser Ausstellung kamen bereits in frühen Bildern Rießbecks der Mond oder Himmelskörper aller Art vor, gleich ob Meteoriten oder Planeten. In den Denkbildern ist der Mond ein Protagonist, möglicherweise ein Stellvertreter, eine Metapher für das Fremdartige oder das Fernliegende schlechthin, alles Mögliche, aber nichts, was detailgetreu 1:1 wiedergegeben werden müsste.

Es scheint für ihn keinen signifikanten Unterschied zu machen, ob er eine Polar- oder eine Mondlandschaft malt, so oder so sind die Weite, die Trostlosigkeit, die Erhabenheit, das dramatische Moment wichtig. Gerhard Rießbeck zeigt in seinen Bildern beide Möglichkeiten: Das Pathos, das mit der heroischen, ergo tendenziell menschenfeindlichen Landschaft einhergeht, und das Gegenteil, die Ironie.

Da wird ein kleiner Mondkrater zum Bauchnabel oder der Astronaut schwebt wie eine fette, taumelige Fliege herum, gesichtslos in seinem Helm eingesperrt. Mag ja sein, dass es höllisch gefährlich ist, nur mit einer Leine oder gar ohne eine solche Sicherung um eine Raumkapsel herum zu schweben – aber weshalb sollte man das eigentlich ausschließlich heroisch betrachten?

Für einen Maler mit einem Faible für romantische Landschaften wie Jan Gemeinhardt gehört der Mond einfach zu einer nächtlichen Landschaft. Denn, wie ich schon bei dem kleinen Rückblick auf die Kunstgeschichte sagte, ist eine Lichtquelle für Bilder der Nacht mit einem hohen Anteil an Schwarz oder dunklem Grau günstig, um eine große Hell-Dunkel-Spannung aufzubauen.

Jan Gemeinhardt hat in diesem Sinn nicht erst dieser Ausstellung wegen den Blick auf den Mond gerichtet. Jedoch waren seine Nachtbilder bis dato keine Mondlandschaften, sondern Landschaften mit Mond. Für ihn ist neu, dass er ebenso wie sein Künstlerkollege Bilder von der Mondoberfläche gemalt hat, er gedanklich seine Staffelei auf den Mond gestellt hat.

Jan Gemeinhardt, Foto: Kunstkontor Nürnberg

So wenig wie Gerhard Rießbeck, der sich selbst in einem autobiographischen Text als „Kulissenschieber“ bezeichnet, interessieren ihn Esoterik und moderne Mond-Mythen. Aber sozusagen die Idee des Mondes hat ihn zu neuen Arbeiten stimuliert, dieses Wenn-es-den-Mond-nicht-gäbe-müsste-man-ihn-erfinden. Zur Romantik gehört bekanntlich auch die romantische Ironie.

Ein Romantiker ist ja nicht blöd, er weiß, wie flüchtig und bedroht die willkommene, gesuchte Stimmung ist. Das kann ihn sarkastisch machen, dann malt er ein Maklerschild auf den Mond, weil der zunehmend Gebietsansprüchen von Staaten ausgesetzt ist, dann malt er ein Sprungbrett auf den Mond, weil es von da aus weitergehen soll zur fragwürdigen Besiedelung des Mars.

Jan Gemeinhardts Malweise nannte ich zu Beginn gegenständlich; das ist richtig, aber missverständlich. Mit seiner farblich extrem sparsamen Palette zeigt er anhand einiger weniger lesbarer gegenständlicher Bildelemente, dass alle Malerei auf abstrakten Elementen basiert, dass es Farbpartikel oder Farbschichten sind, die sich für das Auge des Betrachters zu Mustern fügen, wie wir sie von der Realität haben.

Er verwendet in seiner Malerei selten eine Linie, setzt in aller Regel einen Farbfleck neben den anderen. Es entstehen Landschaftsbilder, aber eben keine real existierenden, sondern intuitive Landschaften. Und mittendrin hängt dann ein völlig abstraktes Bild.

Jan Gemeinhardt, Foto: Kunstkontor Nürnberg

Natürlich fiel mir auf, dass der Titel der Ausstellung etwas ungewöhnlich ist: Es heißt nicht „Zum Mond und zurück“, sondern umgekehrt „Zurück und zum Mond“. Ich lese die Konjunktion „und“ als eine Verstärkung, wie ein zweites „Zurück“; ich lese folglich im Titel die Aufforderung: Zurück, zurück zum Mond!

Das kann im übertragenen Sinn nur ein Zurück zu dem sein, was der Mond einst war: Das Irritierende, das Irreguläre, das Andere. Wozu sollte das gut sein?

Vom Mond aus sehen wir die Erde, also wenigstens mittelbar uns selbst. 

Das größte Erlebnis der Mondlandung und der zugehörigen Umrundung des Mondes, meint der Philosoph Günther Anders, war „nicht das Unbekannte, sondern das Bekannte; nicht das Fremde, sondern das Verfremdete; nicht der Mond, sondern die Erde.“ (G.A. Der Blick vom Mond, 1994, München, 2. Aufl., S. 89ff).

Und Günther Anders hat die Frage beantwortet, warum das so ist (ebd. S. 90): Nicht die Fotografien der Mondoberfläche waren die tatsächlich spektakulären Aufnahmen, denn „Dagegen war unsere von niemand gestützte und vereinsamt in der unermesslichen Schwärze des Himmels hängende Erde so ungewöhnlich, so ungewöhnlich schön und so ungewöhnlich trostlos wie nichts, was wir früher auf Erden gesehen hatten, und auch in der Erinnerung ist sie etwas auf atemberaubende Weise Unbekanntes. Und das wird sie wohl bleiben.“

Dass der Mond nun keine „Luna incognita“ mehr ist, so wenig wie die Erde eine „Terra incognita“, hat den Menschen halt auch nicht weitergebracht! Jede Entdeckung, jede Eroberung ist eben ein Verlust. Nur das Unbekannte ist voller Rätsel und Bilder. Die tiefe Sehnsucht nach unbekannten Welten bleibt. Günther Anders schreibt in „Der Blick vom Mond“ (ebd. S.92): „…die Rückkehr ins Menschliche wird immer schwieriger und immer komplizierter, je weiter wir die Grenzen des Menschlichen… überschreiten…“

Gerhard Rießbeck, Foto: Kunstkontor Nürnberg

In Bildern vom Mond wie in Bildern mit Mond oder in Bildern von der Erde (aus der Mondperspektive) kann ein ganzer Gedankenstrom kulminieren.

Ob die Leere uns pathetisch begegnet wie in Bildern von Gerhard Rießbeck, oder melancholisch-heiter oder melancholisch-düster oder sogar dystopisch in Bildern von Jan Gemeinhardt, oder ob wir über die Leere lachen müssen, wozu uns einige Bilder der beiden stimulieren, wir müssen so oder so jeden Verlust kompensieren, weil uns jede Entdeckung, jede Enträtselung stärker auf uns selbst zurückwirft.

Wir können uns nicht von unserer Sehnsucht nach der Sehnsucht freimachen, denn es ist eine innere Erfahrung jedes Menschen, dass vor dem Anfang und am Ende von allem Nacht ist, Dunkelheit. Und dagegen hilft kein Raumfahrtprogramm – aber ein Mond! (Eröffnungsrede von Hans-Peter Miksch)


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