Ottmar Hörl: Die Nürnberger Madonna – Installation auf dem Kornmarkt vom 1. September bis 17. September 2017

Anfang September 2017 wird der international bekannte Konzeptkünstler Ottmar Hörl, Professor und Präsident der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg, eine Installation mit rund 600 goldenen „Nürnberger Madonnen“ realisieren.
Die historische Vorlage aus der Zeit um 1510 gilt als ein Hauptwerk Nürnberger Kunst aus der Dürerzeit. Die Figur aus Lindenholz ist weltberühmt und genoss seit dem 19. Jahrhundert eine fast kultische Verehrung. Ihr Schöpfer bleibt, trotz umfangreicher Forschungen, ein bislang namentlich unbekannter Nürnberger Bildschnitzer.
Die dem Original respektvoll nachempfundenen Multiples werden den Kornmarkt beim Germanischen Nationalmuseum vom 1. bis 17. September 2017 in einen temporären Kunst-Schau-Platz verwandeln.
Die Schirmherrschaft für das Projekt hat Staatsminister Dr. Markus Söder übernommen.
Geschichte der Nürnberger Madonna
Auch wenn die Nürnberger Madonna heute als einzigartig gilt, wurde sie nicht als singuläres Kunstwerk konzipiert. Sie ist Teil einer für die Nürnberger Dominikanerkirche gefertigten Kreuzigungsgruppe, die aus drei Figuren bestand: einem gekreuzigten Christus mit den Trauernden Johannes und Maria zu seinen Füßen.
Das Ende des 13. Jahrhunderts gegründete Kloster der Dominikaner stand einst in bester Lage an der Nürnberger Burgstraße nahe St. Sebald. Nach einem Brand 1395 wurden große Teile der Gebäude neu errichtet. Das Kircheninnere zierte ein Zyklus aus sechszehn Bildtafeln mit Szenen der Passion Christi. Einzig die Darstellung der Kreuzigung fehlte in der gemalten Version. Sie wurde besonders herausgehoben und als freistehendes Ensemble mit den oben genannten Figuren umgesetzt.
Im Zuge der Reformation wurde das Konvent aufgehoben, seine Gebäude und Kunstwerke gingen in den Besitz der Stadt Nürnberg über.
Nachdem am 6. April 1807 ein Teil des Seitenschiffs einstürzte, wurde das Kirchengebäude komplett abgerissen. Transportable Kunstwerke waren zuvor aus der baufällig gewordenen Anlage geborgen und in andere Nürnberger Kirchen und Gebäude gebracht worden. Die Madonna der Kreuzigungsgruppe kam als Modell für Kunststudenten in die Nürnberger Zeichenschule, die damals in Räumen auf der Kaiserburg untergebracht war. Seit 1880 befindet sie sich als Dauerleihgabe der Stadt Nürnberg im Germanischen Nationalmuseum.
Kontakt
Die Nürnberger Madonna besticht durch ihre elegant geschwungene Körperhaltung und ihre jugendliche Ausstrahlung. Mit vor der Brust verschränkten Armen hat sie den Kopf leicht zur Seite geneigt und blickte einst in Richtung ihres toten Sohnes am Kreuz.
Auch als Einzelfigur faszinierte sie vor allem im 19. Jahrhundert Kunstfreunde als Inbegriff einer anmutig und still trauernden Frau. In Abgüssen, Nachbildungen und grafischen Vervielfältigungen fand sie weite Verbreitung.
Nachfolgend einige Beispiele:
Als einer der Ersten interessierte sich der Künstler Albert Christoph Reindel für die außergewöhnliche Marienfigur, die als „Nürnberger Madonna“ berühmt werden sollte. Reindel hatte 1811 die Leitung der Nürnberger Akade- mie übernommen. In dieser Funktion stellte er – dem Kunstgeschmack der damaligen Zeit entsprechend – eine Sammlung antiker Gipse zusammen, an denen sich junge Kunststudenten im Zeichnen schulen sollten.
Bemerkenswert ist, dass sich Reindel neben der Antike auch für das deutsche Mittelalter begeisterte und nach entsprechenden Vorlagen suchte. So gelangten Beispiele aus ehemals Nürnberger Kirchen als Zeichen-Modelle auf die Kaiserburg. Zu ihnen gehörte die Nürnberger Madonna.
Reindel selbst fertigte 1828 einen Stich nach dieser Marienfigur an, der ein Jahr später in einem populären Frauentaschenbuch abgedruckt wurde, das touristische Nürnberger Sehenswürdigkeiten auflistete.
Auch Reindels Schüler schufen Zeichnungen und Nachbildungen, wie beispielsweise Jakob Daniel Burgschmiet, der 1824 eine verkleinerte Version in Alabaster ausführte, die sich heute in den Kunstsammlungen der Stadt Nürnberg befindet.
Anlässlich der Enthüllung des Nürnberger Dürer-Denkmals 1840 realisierte der Albrecht-Dürer-Verein eine viel beachtete Ausstellung, die bedeutende Kunstwerke der Dürerzeit zusammenführte. Damals fiel den Besuchern eine Kopie nach einer Nürnberger Maria von Bernhard Afinger auf.
Daniel Rauch, einen Berliner Bildhauer, überzeugte die Qualität. Er nahm Afinger als Mitarbeiter in sein Atelier auf. Fortan konnten Nachbildungen der Nürnberger Madonna auch im Berliner Handel erworben werden.
Auch die Nachfrage nach dem Original als Leihgabe für Ausstellungen nahm zu. Die Nürnberger Madonna verkörperte wie kaum ein anderes Werk die romantisch-verklärte Vorstellung von einer mittelalterlich-deutschen Kunst. Neben Figuren wie dem Bamberger Reiter und der Uta vom Naumburger Dom reihte sich die Nürnberger Madonna ein in den Kanon des bürgerlichen Bildungsguts, der in Kleinskulpturen Aufstellung in privaten Wohn- und Re- präsentationsräumen fand. Auch im Arbeitszimmer von Wilhelm Grimm stand eine Nürnberger Madonna, wie ein Aquarell von Hoffmann belegt.
Das Original wurde 1880 dem Germanischen Museum übergeben und dort dauerhaft aufgestellt, es findet Erwähnung in den Museumsführern und bei Rundgängen. Wohl in dieser Zeit wird aus einer Nürnberger Madonna die Nürnberger Madonna.
Während der Inflationszeit war sie auf den Zahlmarken der Nürnberger Straßenbahn zu sehen. Und 1923 erschien bei Reclam eine Novelle, die von einem Privatgelehrten handelt, der durch „Seelenwanderung“ dem Bild- schnitzer der Nürnberger Madonna begegnet. Im Folgenden erzählt ihm die- ser die – rein fiktive – Entstehungsgeschichte der Holzfigur. Im Jahr 1952 zierte der Kopf der Nürnberger Madonna eine Sonderbriefmarke. Auch solche populären Erzeugnisse trugen zu Bekanntheit und Nachruhm der Marienfigur bei.
Mehr bei Matthias Mende: Die Nürnberger Madonna, Mitteilungen des Ver-
eins für Geschichte der Stadt Nürnberg, Nürnberg 1969, S. 445–490.
Die Installation von Ottmar Hörl
Die Nürnberger Madonna fand bereits im 19. Jahrhundert durch Verfielfältigung weite Verbreitung. Dieses mit der Kunst- und Kulturgeschichte vielfältig verknüpfte Phänomen nimmt der international bekannte Konzeptkünstler Ottmar Hörl, Professor und Präsident der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg, zum Anlass, dem Werk im 21. Jahrhundert eine spektakuläre Renaissance zu widmen. Mit rund 600 goldenen Madonnen, dem Original respektvoll nachempfunden, wird er Anfang September den Kornmarkt am Germanischen Nationalmuseum für 17 Tage in einen temporären kommunikativen Kunst-Schau-Platz verwandeln, um Besucher und Passanten zu einer zeitgenössischen
Betrachtung der Thematik einzuladen. Hörls Madonnen-Figuren sind jeweils 92 cm hoch und werden in traditionellen Spezialbetrieben in Süddeutschland von Hand gefertigt.
Madonna mit Strahlkraft
Ottmar Hörls Idee, mit einer Installation aus seriellen Skulpturen an die Bedeutung, Geschichte und Wertschätzung der Nürnberger Maria zu erinnern und diese nun ins Licht einer breiten Öffentlichkeit zu stellen, passt außerdem ideal zur Reformationsdekade. Symbolisiert die „Madonna“ doch auch den „freiheitlichen“ Umgang Nürnbergs mit der Reformation – ein Bildersturm blieb damals weitgehend aus.
Impuls zur Auseinandersetzung und Kommunikation
Mit seinen Installationen zeigt Ottmar Hörl seit vielen Jahren, dass Kunst imstande sein kann, den öffentlichen Raum als lebendige „Plattform zur Entwicklung und Ausweitung kultureller Erfahrungszonen“ zu definieren, um möglichst viele Menschen zu erreichen und in einen kulturellen Diskurs miteinzubeziehen.
„Der öffentliche Raum ist kein erweiterter Museumsraum, er verlangt nach einer Sprache, die möglichst viele verstehen. Daher verwende ich hier ganz bewusst Motive, die bereits im kollektiven Gedächtnis verankert sind. Durch minimale „Verrückung“, das serielle Prinzip, das auf die jeweilige Arbeit abgestimmte spezifische Konzept wird das Motiv auf eine neuartige Weise erfahrbar,“ so Ottmar Hörl.
Über Ottmar Hörl
Seit vielen Jahren überrascht Ottmar Hörl, Professor und Präsident an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg, die Welt mit immer neuen Erfindungen und zeigt, wie die Kunst ihren notwendigen Platz im öffentlichen Leben zurückgewinnen kann.
Seit Ende der 1970er Jahre entwickelt er radikale Werkkonzepte, die sich aus seinem skulpturalen Denken, dem Nachdenken über die Idee von Kunst und Gesellschaft sowie
den daraus resultierenden Erkenntnissen und Konsequenzen ableiten.
So hat Hörl zahlreiche Großprojekte in vielen Städten realisiert, einprägsame Identifikationsmodelle und universelle Sinnbilder entwickelt, die mittlerweile selbst Teil des kollektiven Gedächtnisses sind.
Beispiele sind die Euro-Skulptur (2001) in Frankfurt am Main oder auch Installationen mit seriellen Skulpturen, die an die Leistungen berühmter Persönlichkeiten erinnern, wie beispielsweise an Martin Luther (2010) in Wittenberg, Richard Wagner (2004/2013) in Bayreuth, Karl Marx (2013) in Trier oder Albrecht Dürer (2003) in Nürnberg.
Zuletzt hat Ottmar Hörl Projekte für das Zeppelin-Museum in Friedrichshafen, das Museum Schloß Moyland, das Daegu Art Museum in Südkorea, die Architektur-Biennale in
Venedig oder die Albertina in Österreich realisiert. Viele seiner Werke sind in bedeutenden Sammlungen vertreten wie dem Museum für Moderne Kunst in Frankfurt/M. oder dem San Francisco Museum of Modern Art.
Für seine Arbeit wurde er mit Preisen wie dem art multiple-Preis, dem Wilhelm-Loth-Preis, dem intermedium-Preis oder dem CREO- Innovationspreis ausgezeichnet.
Infobox
- Germanisches Nationalmuseum, Kornmarkt, 90402 Nürnberg
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