Andreas Kriegenburg bringt nach seiner gefeierten Nürnberger „Nora“-Inszenierung Sophokles‘ „Antigone“ auf die Bühne des Schauspielhauses.
Mit großem Erfolg inszenierte der vielfach ausgezeichnete Regisseur und Bühnenbildner Andreas Kriegenburg in der vergangenen Spielzeit Ibsens „Nora“ am Staatstheater Nürnberg.
Mit „Antigone“ setzt Kriegenburg, der wieder für Regie und Bühnenbild verantwortlich zeichnet, nun die Linie antiker Stoffe im Schauspiel fort.
Vielleicht aktueller denn je, befragt er mit Sophokles‘ „Antigone“ den schmalen Grat zwischen berechtigtem Widerstand und möglicherweise ebenso berechtigten schmerzhaften Machtentscheidungen in einer Ausnahmesituation.
Antigone will nichts weiter, als ihrem Bruder eine würdige Bestattung ermöglichen. Doch die Lage gebietet, Staatsräson und Gemeinwohl Vorrang einzuräumen vor Traditionen oder individuellem Recht – so Kreon, der als neuer König versucht, Theben nach überstandener Epidemie und einem gerade beendeten Bruderkrieg zu stabilisieren.

Kreon treibt es viel zu weit – doch die einfache Formel der Verteidigung des Individuums gegen die autoritäre Staatsmacht bröckelt in der Krise. Denn die fragt auch nach der Verantwortung des Einzelnen für das Gemeinwesen. Ein unauflösbares Dilemma, vor 2500 Jahren wie heute.
Die Pandemie, die wir derzeit durchleben, verändert den Blick auf diesen universellen Stoff, macht ihn differenzierter und führt näher an den Kern der Tragödie.
Der tief sitzende moralische Konflikt zwischen der individuellen Meinung und dem, was das Gesetz vorschreibt, aber auch, was sich die Gesellschaft auferlegt, wird wieder tragischer, weil er nicht mehr so einfach auflösbar ist. Beide Positionen, nicht nur der rigide, fast diktatorische Machtanspruch eines Kreon, sondern auch die unbedingte Auflehnung einer Einzelnen wie Antigone erscheinen angreifbarer – in einer Krise, in der die Gesellschaft von jedem einzelnen soziale Disziplin einfordert.
Auf der anderen Seite wird auch die Wahrnehmung der mög- lichen Gefährlichkeit von Einzelstimmen, die sich gegen die Gesetzeslage stellen, geschärft. „Antigone“ thematisiert die Moralität der Gesellschaft, getragen auch durch jeden Einzelnen.
Kriegenburg geht es in seiner Inszenierung nicht darum, den Text vordergründig zu aktualisieren. Mit einem vorgeschalteten Prolog rekapituliert er die Vorgeschichte von Seuche, Krieg und Familienfluch der Labdakiden und macht eine Welt plastisch, in der eine ganze Gesellschaft in tiefer Verzweiflung um ihre Sprache ringt – das Denken und Sprechen als letzte Chance, nicht verrückt zu werden.
Kriegenburg hebt die Größe des Textes und der besonderen, uns fremden Sprache hervor, zelebriert sie im Sprechen und Spielen und fokussiert auf den existenziellen Kern der Tragödie.

Zu Grunde liegt dem Text schon im Ursprung ein Rezitationstheater: Archetypische Figuren in absoluten Extremsituationen, vom Alltag befreit, nichts ist hier einfach Konversation. Kriegenburgs Ansatz verneigt sich vor dem großen Stoff in großer Sprache, und er bringt ihn dem Publikum gerade dadurch auf neue Weise nah.
Dem entspricht ein sehr einfaches, klares Bühnenbild – ebenfalls von Andreas Kriegenburg – das keine dekorativen Elemente will und braucht. Simple Holzplatten umrahmen eine helle Spielfläche, Sand kommt als Material hinzu – ein archaischer Begegnungsort für verschiedene Stimmen, für Konfrontationen zwischen Menschen und Gedanken, der keine Brücken ins Heute bauen will. Und eine Atmosphäre, in der jede*r Einzelne den Druck der Verantwortung dem Gesamten gegenüber spüren und veräußern kann.
Auch die Kostüme von Andrea Schraad historisieren nicht, ziehen die Figuren aber auch nicht ins Heute, entspringen einer wiederum eigenen Phantasie, die diese überzeitliche Welt mit erzeugt.
Andreas Kriegenburg
Der vielfach preisgekrönte Regisseur und Bühnenbildner Andreas Kriegenburg, geboren 1963 in Magdeburg, war nach einer Ausbildung zum Modelltischler zunächst als Tischler und Techniker am Theater Magdeburg beschäftigt.
1984 wurde er Regieassistent am Gerhart-Hauptmann-Theater in Zittau, 1987 am Kleist-Theater in Frankfurt/Oder, wo er seine ersten Regiearbeiten zeigte. 1991 wurde er Hausregisseur an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin, 1996 wechselte er ans Staatstheater Hannover und war von 1999 bis 2001 am Burgtheater Wien.
Von 2001 bis 2009 war Kriegenburg Oberspielleiter am Thalia Theater Hamburg, von der Spielzeit 2009/10 bis 2013/14 war er Hausregisseur am Deutschen Theater Berlin. Neben regelmäßigen Arbeiten an den Münchner Kammerspielen inszenierte er u.a. am Schauspiel Frankfurt und am Staatsschauspiel Dresden.
U.a. wurde Kriegenburg 2008 mit dem Faust-Theaterpreis für seine Inszenierung „Das letzte Feuer“ am Thalia Theater Hamburg ausgezeichnet, 2010 wurde er von der Fachzeitschrift Theater heute zum Bühnenbildner des Jahres gewählt.
Zahlreiche seiner Inszenierungen wurden zum Berliner Theatertreffen eingeladen, darunter „Der Prozess“, entstanden an den Münchner Kammerspielen (TT 2009), sowie „Diebe“ am Deutschen Theater Berlin (TT 2010).
„Antigone“ ist seine zweite Arbeit am Staatstheater Nürnberg.
Premiere am 10.10.2020
Regie und Bühne: Andreas Kriegenburg Kostüme: Andrea Schraad
Es spielen:
Pauline Kästner
Anna Klimovitskaya Lisa Mies
Adeline Schebesch Pius Maria Cüppers Michael Hochstrasser Amadeus Köhli Maximilian Pulst
Tickets:
Tel.: 0180-1-344-276 (Festnetz 3,9 ct/Min, Mobil bis zu 42 ct/Min) oder unter www.staatstheater-nuernberg.de
Weitere Vorstellungen im Oktober und November 2020:
Di. 06.10.2020, 19 Uhr, Öffentliche Probe / Fr. 16.10.2020, 19.30 Uhr / Sa. |
17.10.2020, 19.30 Uhr / Sa. 24.10.2020, 19.30 Uhr / So. 25.10.2020, 19 Uhr / Di. 03.11.2020, 19.30 Uhr / Fr. 06.11.2020, 19.30 Uhr / Sa. 07.11.2020, 19.30 Uhr / Di. 10.11.2020, 19.30 Uhr / Di. 17.11.2020, 19.30 Uhr / Do. 19.11.2020, 19.30 Uhr / Fr. |
27.11.2020, 19.30 Uhr |
Titelbild: Staatstheater Nürnberg Schauspiel, „Antigone“
Von Sophokles, Regie: Andreas Kriegenburg, Premiere: 10.10.2020 Im Bild (v.li.n.re.): Michael Hochstrasser (Kreon), Lisa Mies (Chor), Adeline Schebesch (hier: auch Kreon), Maximilian Pulst (Chor), Pauline Kästner (Antigone), Anna Klimovitskaya (Chor), Pius Maria Cüppers (Chor), Amadeus Köhli (Wächter), Foto: Konrad Fersterer