Fristlos entlassen? Nein, ganz abrupt und unvorhersehbar kam das Ende sicher nicht, und dennoch – für die Absolventinnen und Absolventen der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg ist es ein großer, entscheidender und einschneidender Schritt. Ein Schritt in Richtung Unabhängigkeit, Freiheit, aber auch Ungewissheit. Das Verlassen der Institution ermöglicht, aber fordert auch neue, eigene Wege.
28 Studierende sind es, die ihre Ausbildungsstätte in diesem Jahr hinter sich lassen. Sie zeigen zum Abschluss ihres Studiums noch einmal ihre Werke, schöpfen die Präsentationsmöglichkeiten der Akademieräume noch ein letztes Mal voll aus, bevor sie dann Platz machen für die Neuen, die bereits das Gelände erkunden und Einführungsveranstaltungen besuchen, die zum Großteil noch am Anfang ihrer künstlerischen Laufbahn stehen.
Auch wenn die Anzahl und Auswahl der gezeigten Werke sowie die Art der Präsentation den Absolventen und Absolventinnen völlig frei gestellt waren – mit Motiven wie Herkunft und Aufbruch, Kommen und Gehen, architektonischer und institutioneller Rahmung scheint auch der Übergang von einem Lebensabschnitt in einen neuen thematisch Eingang in etliche der gezeigten Arbeiten gefunden zu haben.
So bezieht sich beispielsweise Lisa Wölfel ganz explizit auf die Akademiearchitektur, in die die Studierenden und ihr Arbeiten eingebettet sind und das sie gespiegelt sieht in den Mäusen, die die Material- und Werkzeugstapel vor den großen Fenstern der Pavillons bewohnen und zu ihrer Architektur gemacht haben. Mit einer Wandmalerei holt Wölfel dieses Motiv ins Innere ihrer Arbeitsstätte.

Mit Jie Li bespielt eine Künstlerin den Pavillon der Baranowski-Klasse, die noch einen Schritt weiter zurück geht in ihre Kindheit und die Zeit vor ihrer Akademie-Laufbahn. Sie hinterfragt ganz explizit ihre eigene Herkunft – nicht nur die künstlerische, sondern auch die regionale, ideelle und deren Einflüsse. Dies ist in besonderem Maße spannend, da die aus China stammende Jie Li dem Rezipienten Elemente ihrer Kindheit vorführt, die uns in Europa nicht oder kaum geläufig sind.
Während eine weiße Büste mit rotem Halstuch, das chinesische Schuluniformen aufgreift, noch wenig befremdlich anmutet, vollzieht sich daneben in einem Video ein hier unbekanntes Ritual:
Gezeigt wird ein Phänomen aus chinesischen Grundschulen, wo sich immer montags alle Schüler und Schülerinnen versammeln und programmatische Reden von Kindern aus den eigenen Reihen anhören.
Lis Videoarbeit, die optisch mit der Ästhetik einer bunten Menschenansammlung spielt, bildet diese Massenveranstaltung ab und wird untermalt von der Stimme der Künstlerin, die auf Chinesisch die entsprechenden Reden vorträgt.
Einen Schritt zurück zum Individuum, zu sich selbst, vollzieht Jie Li in einer Arbeit, die in Form eines subtil beleuchteten Leporello mit chinesischen und deutschen Texten, Grafiken und Fotos das eigene Leben als Resultat verschiedenster Kindheitseinflüsse dokumentiert, kommentiert und zur Schau stellt.
Im Pavillon der Grafikdesigner präsentiert mit Kristina Tautz ebenfalls eine Studentin ihre Auseinandersetzung mit ihrem Lebensraum. Doch auch wenn in ihrer Schau Fotografien aus der eigenen Kindheit auftauchen – diese sind nicht als solche ausgewiesen und relevant, denn hier ist die Fragestellung weniger selbstreferenziell als bei Jie Li.
Tautz thematisiert die oft unbewusste städtische Raumnutzung durch die Bewohner und fragt, inwieweit bestimmte architektonische und städtebauliche Strukturen Leben und Verhalten der dort angesiedelten Menschen beeinflussen oder vorgeben.
Entsprechend gestaltet sie ihren Akademiepavillon mit Holzgerüsten und Stoffbahnen, um nicht die vorgegebene, sondern eine eigene Architektur als Ausstellungsdisplay zu nutzen.
In diesem Rahmen zeigt Kristina Tautz ihre Diplomarbeit, die sich in Form von drei Publikationen mit Orten in Nürnberg auseinandersetzt. Weniger mit ihrem privaten Lebensraum, sondern vielmehr mit profanen, städtischen, öffentlichen Räumen, welchen im Alltag oft zu wenig Aufmerksamkeit zu Teil wird.
Unter dem Titel Aus dem Abseits ist eine vielschichtige und spannende Kombination von Texten, Fotos und Videos/Videostills entstanden: Hintergründe zur Raumtheorie von Foucault, konkrete künstlerische Beispiele zu Werken im Stadtraum anderer Künstler und eine Art Reiseführer durch ausgewählte Nürnberger Orte werden ergänzt durch Dokumentationen von Ortsbesuchen, dazu entstandenen Texten und informatives Material aus dem Internet.
Der letzte Band der dreiteiligen Publikation, für Tautz das eigentliche Werk, präsentiert Fotografien, die einerseits wie Momentaufnahmen wirken, und doch Geschichte zu tragen scheinen – Abbilder eines schon-lange-so-Gewesenen, das nun wie zufällig und doch so bewusst festgehalten wurde.
Begleitende transkribierte Gespräche, die Freunde der Absolventin an den jeweiligen Orten geführt haben, sind unterhaltsame Untermalung und stimmen zugleich nachdenklich.
Aus dem Stadtraum zurück in die Akademiearchitektur führt das Werk von Ilija Lazarevic. Nachdem der Absolvent vor wenigen Monaten im Rahmen der Jahresausstellung der Akademie 2017 eine Arbeit auf dem Parkplatz, also außerhalb der Institution, konzipiert hatte, kehrt er mit seinem nun ausgestellten Werk noch einmal ins Innere des Akademiegeländes zurück.
Mit einem riesigen, entlang von Baustützen gespannten Vlies teilt er den langen Gang zwischen den Pavillons der Länge nach konsequent von einem bis zum anderen Ende. Er zieht einen Strich – unter sein Studium, seine Zeit an der Adbk, aber auch quer durch die „Hauptader“ derselben.
Begegnungen, Austausch, Klatsch und Tratsch, alles, was normalerweise in diesem Gang stattfindet, wird von der Installation gestört. Das Normale, Selbstverständliche wird gesprengt, die Besucher sowie Nutzer der Pavillons und Werkstätten werden gezwungen, sich bewusst zu verhalten, zu entscheiden, auf welcher Seite sie entlang gehen wollen.
Zwischen örtlicher Bezugnahme und materieller Unabhängigkeit bewegt sich Lazarevics Arbeit – keine Materialien, keine Werkzeuge oder Atelierräume waren für die Realisierung notwendig, doch trotz dieser Souveränität gehört sie genau an diesen Ort und entwickelt eine ganz eigene Ästhetik.
Gedämpfte Geräusche von der anderen Seite des Stoffes, durchscheinende Licht- und Schattenspiele… ein Spiel mit störender Intervention und ästhetischer Betonung der Akademie-Hauptader.
Nicht gestört, sondern perfekt für die eigenen Zwecke genutzt werden die Räumlichkeiten von Laila Auburger. Sie präsentiert ihr im weitesten Sinne fotografisches Werk aus Bildern und Objekten in der Ausstellungshalle wie in einer Galerie, im white cube.
Bei ihr geht es weniger um Anfang und Ende, hier ist das Zyklische, ein ewiger Kreislauf Thema. Symbolisch dafür steht ein etwa handgroßer, flacher Stein, der eine Leihgabe von einem Indianervolk ist.
Die Kyoten glauben, dass jeder Gegenstand aus einem bestimmten Grund bei ihnen ist und somit seine Berechtigung hat. Die flache, runde Form des Steins verweist auf seine einstige Formung durch Wasser, die Gezeiten in ihrer stetigen Wiederkehr, den weiblichen Zyklus, Wachstum, Leben und Vergehen.
Themen, die zum Teil auch in Auburgers Fotografien auftauchen. Die Absolventin führt das Medium auf seine Ursprünge zurück, fotografiert rein analog und in schwarz-weiß. Sie spielt mit der Optik, indem sie Bilder in Wasserbehältern positioniert, die das Motiv doppeln und fragt nach der Existenz von Farbe in schwarz-weißen Bildern auf Grund von vorgeprägten Sehgewohnheiten des Betrachters.
Die im Ausstellungsraum platzierten Palmen korrespondieren optisch mit dem Grün der Bäume, das in den Fotografien faktisch nicht besteht, jedoch im Kopf der Rezipienten als Baum-Konnotation generiert wird.
Unbedingt sehenswert sind, neben allen anderen, auch die Arbeiten von Katharina Kraus, die ihren Ursprung in der Klasse für Freie Malerei hat. In der Ausstellung verlässt die Absolventin die Zweidimensionalität der Leinwand.
In ihren bunten, collagenartigen Malereien, die an Matisse erinnern, brechen mit ihren Farb- und Musterkombinationen die geschaffenen räumlichen Eindrücke immer wieder auf und werden ergänzt von kissenartigen Objekten aus bemaltem Stoff, die in verschiedenen Größen und Formen auf dem Boden liegen.
Insgesamt entsteht ein spannendes Wechselspiel von Farben, Formen und Dimensionen mit einer kaum unruhigen, sehr harmonischen Gesamtwirkung, die zum Verweilen einlädt.
Das Akademie-Konzept der Kunst- und Präsentationsfreiheit funktioniert in der Absolventenausstellung 2017 ein weiteres Mal hervorragend – es besteht kein Zwang, eine Abschlussarbeit auszustellen, die Künstlerinnen und Künstler wählen selbst, welche Werke für sie besonders relevant sind und gezeigt werden sollen.
So ist eine vielschichtige Schau zu sehen, die beweist, dass die Zeit an der Adbk Früchte trägt. Das Können der Absolventinnen und Absolventen geht über die bloße Fähigkeit, Material zu bearbeiten weit hinaus. Hier haben sich eigenständige künstlerische Positionen und Fragestellungen entwickelt, die sicherlich auch außerhalb des Akademie-Rahmens Zukunft haben.
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INFOBOX
Die Ausstellung ist noch das ganze Wochenende zu sehen!
- Samstag, 21.10.2017: 14-24 Uhr
(Im Rahmen der Langen Nacht der Wissenschaften sind die Werkstätten geöffnet.) - Sonntag, 22.10.2017: 14-19 Uhr
- Akademie der Bildenden Künste Nürnberg, Bingstraße 60, 90480 Nürnberg
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