Juli Sing stellt unter dem Titel „In reference to“ vom 2. bis 26. Juni 2016 im Kunstverein Erlangen aus.
Im Interview berichtet die Künstlerin von Ihrer Arbeit und gibt einen Einblick in die Schau im Kunstverein.
Juli Sing zu ihrer Ausstellung „In reference to“ im Kunstverein Erlangen
Kunstnürnberg: Du stellst ab dem 2. Juni 2016 im Kunstverein Erlangen unter dem Titel ›In reference to‹ aus. Worauf referierst du mit deinen Arbeiten und wie setzt du dein Konzept um?
Juli Sing: In der Ausstellung in Erlangen werden Arbeiten aus verschiedenen Werkgruppen gezeigt. Die Arbeiten beziehen sich auf die zeitliche, die soziale und die räumliche Referenz. Außerdem beziehen sich die Arbeiten auch untereinander aufeinander.
Die erste Arbeit, ›Something is there, at least in a mathematical sense‹ entstand, weil wir ein Abonnement der amerikanischen Zeitschrift ›National Geographic‹ haben. Mich hatte lange interessiert, welches Bild von Natur bzw. welche Naturvorstellung uns prägt und ich habe mich an dem Thema lange Zeit abgearbeitet.
Ich wollte das in der ›National Geographic‹ vermittelte Naturverständnis untersuchen und nachdem ich die Magazine immer und immer wieder durchblätterte fand ich heraus, dass dort ein sehr amerikanisches Bild der Natur gezeigt wird und es eher um ein Landschaftsbild geht.
Die Bilder, die in der ›National Geographic‹ gedruckt werden, zeigen häufig bedrohliche Landschaften oder Tiere, oft auch Fotos, die mit Teleskopen gemacht wurden. Landschaft wird dort auch um den ›uneroberten‹ Weltraum erweitert.
Ich fand an den Bildern auch den Entstehungsprozess spannend. Fotos, wie jene der Leoparden, wurden mit Hilfe eines Bewegungsmelders ausgelöst. Ein Fotograf ist also nicht immer unmittelbar vorhanden. Er spielt eher bei der Installation der Kamera und der Auswertung der Bilder eine Rolle.
Auch die Fotografien aus dem Weltraum werden von hochtechnisierten Maschinen gemacht. Ich fotografiere in meiner Arbeit die Fotografien in der Zeitschrift ab und dokumentiere damit auch die Gebrauchsspuren, die sie beim Lesen bekommen.
Manchmal sind das kleine Kritzeleien, manchmal ist da ein Markierungszeichen, ein Kaffeetassenrand, ein Kratzer oder auch nichts. Und dadurch, dass ich die Fotos abfotografiere und relativ groß reproduziere sieht man die Gebrauchsspuren wie auch die Druckspuren, also das Druckraster.
Meine Reproduktionen der Fotos aus dem Magazin zeige ich in der Ausstellung als gestapelte Plakate, die sich der Ausstellungsbesucher mitnehmen kann. So können die Besucher genau das tun, was ich auch getan habe.
Ich habe ja die ursprünglichen Fotografien ihrem Kontext in der Zeitschrift entzogen und ihnen in meiner Ausstellung einen neuen Kontext verpasst. Ich sage vor Ort auch gar nicht mehr, dass die Fotos ursprünglich aus der ›National Geographic‹ stammen und lasse den Text, der die Fotos begleitet hat, ebenfalls weg.
Die Besucher können sich das Poster nehmen und daheim in die Küche oder die Toilette hängen und so wird das Bild erneut in einen völlig neuen Kontext gebracht.
Kunstnürnberg: Im Vorfeld dieser Werkgruppe hast du 2015 ein Künstlerbuch gestaltet, das sich mit den Fotografien der ›National Geographic‹ auseinandersetzt.
Juli Sing: Genau. Im Moment ist das Buch aber noch nicht publiziert. In dem Buch sind 13 Bilder aus meiner ›National Geographic-Serie‹ aufgenommen. Zudem sind die Bildtitel enthalten, die ebenfalls der ›National Geographic‹ entnommen sind. Der Titel eines Bildes (und gleichzeitig der Titel der Serie) ist beispielsweise ›Something is there, at least in a mathematical sense.‹
Hierbei handelt es sich um ein Textexzerpt, das ich der nebenstehenden Bildbeschreibung entnommen habe. Auf dem Bild sieht man einen verwaschenen Weltraum, in den ich ein bisschen hinein gekratzt habe. Ein anderer Titel z.B. ist ›Almost no visual information‹, auf diesem Foto sieht man ein Meer und einen Horizont.
Kunstnürnberg: Was ist der Grundgedanke deiner Arbeit mit Fotografien?
Juli Sing: Die Arbeiten, die ich zeigen werde, sind auf den ersten Blick gar nicht so sehr fotografisch. Fotografie kommt zwar immer wieder vor, aber sie sind auch sehr grafisch.
Ich bin ein großer Fan des Essays ›La chambre claire‹ (›Die helle Kammer‹) von Roland Barthes aus dem Jahr 1980, ein Standardwerk zur Fotografie. Barthes schrieb damals, dass ein Foto immer ein ›Es-ist-so-gewesen‹ ist und dass die Referenz das Grundprinzip der Fotografie sei.
Fotografischen Referenten nennt er nicht die möglicherweise real dagewesene Sache, die auf ein Bild oder Zeichen verweist, sondern die real notwendige reale Sache, die vor dem Objektiv platziert war und ohne die es keine Fotografie gäbe. Er ist überwältigt von der Wahrheit des Bildes.
Diese Aussage muss man heute meiner Meinung nach anders bewerten. Bereits damals war alles durchaus reproduzierbar und selbstverständlich gab es die Massenmedien, aber dennoch war eine Reproduktion noch kontrolliert.
Wenn ein Fotograf eine Fotografie freigegeben hat, dann wusste er sehr wahrscheinlich, was mit dem Foto passieren würde, wo es abgedruckt werden würde, auch neben welchem Text sein Foto erscheinen würde. Die Bezüge waren eigentlich klar.
Heute, in Zeiten von ›posts‹ und ›reposts‹ verhält sich alles ganz anders. Jeder kann etwas kopieren und alle anderen können es sofort sehen und gleich wieder in einen neuen Kontext bringen. Ich kann mit meiner Fotokamera oder Handy etwas abfotografieren und sofort auf Facebook, einem Blog oder woanders im Netz posten.
Jemand anders kann das Bild wiederverwenden und der Bildunterschrift und dem gesamten Kontext entziehen und in einen veränderten Kontext stellen. Und genau dies finde ich heutzutage an der Fotografie spannend und dazu arbeite ich im Moment.
Die Plakate, die ich im Kunstverein Erlangen auslege verhalten sich ähnlich. Ich suche mir ein Bild aus der ›National Geographic‹ aus, kopiere es, vergrößere es oder nehme nur einen Ausschnitt und präsentiere es so, dass der Betrachter sich eine Kopie aneignen kann. Somit wird die Geste, die wir im Internet schnell nebenbei machen, zu etwas Konkretem, Anschaulichem.
Kunstnürnberg: Eine der drei Werkgruppen in der Ausstellung thematisiert die Vergänglichkeit. Welche Arbeiten gehören dazu und wie zeigst du Vergänglichkeit in deinen Arbeiten?
Juli Sing: Dazu gehören drei Serien. Die erste entstand, weil ich mir neues Druckerpapier kaufen musste, da die alte Sorte nicht verfügbar war. Ich war sehr enttäuscht, als das neue Papier sehr schnell vergilbte. Aber es machte mich auch neugierig und ich legte das Papier in die Sonne, um es wie ein Fotogramm zu belichten.
Ich habe also die A4-Blätter leicht verschoben aufeinander gelegt und nach einigen Wochen bereits waren Ränder auf dem Papier zu sehen. Das am Rand vergilbte Papier wiederum habe ich abfotografiert und farbkorrigiert. Durch das Abfotografieren habe ich den Belichtungsprozess zeitlich angehalten und den Zeitpunkt der Archivierung bestimmt. Der Titel der Arbeit ist ›Archival Paper‹, wie das Papier, das auch im musealen Kontext verwendet wird um Dokumente und Bilder zu archivieren und zu reproduzieren.
Die zweite Arbeit ist entstanden, weil die Galeristin Deborah Schamoni mich auf einer Ausstellungseröffnung ansprach und ganz unvermittelt zu mir sagte, ich sähe aus wie die Schauspielerin Sissy Spacek. Am nächsten Tag googelte ich nach Sissy Spacek und bin dann sehr erschrocken denn Sissy Spacek ist inzwischen durchaus gealtert. Ich kannte diesen Vergleich schon lange.
Als ich jung war, hat man mich auch gerne mal Carrie genannt, nach der Hauptrolle von Spacek in Steven Spielberg’s ›Carrie – des Satans jüngste Tochter‹ aus dem Jahr 1976. Inzwischen geht Spacek auf die siebzig zu und ist einfach älter geworden. Wenn man jemanden im Internet googelt der ähnlich aussieht wie man selbst wird man sofort mit der eigenen Vergänglichkeit und zeitlichen Limitiertheit konfrontiert.
Die zwei Arbeiten ›Sissy Spacek younger than me‹ und ›Sissy Spacek older than me‹ zeigen diese Konfrontation. Dazu kommen ein großer, am Rand schon verblasster Fotohintergrund und zwei Fotografien mit dem Titel ›Anniversary‹. Sie zeigen Feuerwerkskörper, stehen für das abgelaufene Jahr und markieren eine zeitliche Einheit.
Kunstnürnberg: Hast du einen Ausstellungstipp für meine Leser?
Juli Sing: Ich empfehle allen Kunstnürnberg-Lesern die 9. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst, die gleich am Freitag nach meiner Eröffnung in Berlin eröffnet und bis zum 18.9.2016 läuft. Und natürlich die consumART 2016, wo ich als Kunstnürnberg Featured Artist vertreten sein werde.
Für die, die es nicht dorthin schaffen, eröffnet am gleichen Tag, den 3.Juni 2016, die neue Ausstellung von Manuela Leinhoß im Kunstverein Nürnberg Albrecht-Dürer Gesellschaft.
Spannend in Nürnberg und in Bezug auf junge Kunst ist gerade auch das Edel Extra in Nürnberg Gostenhof.
Alles nachzulesen in den neuen ›Kunstterminen‹ für Nürnberg, das gelbe Heftchen mit Kunstadressen und Eröffnungen in Nürnberg. Ich freue mich, dass es das wieder gibt!
Kunstnürnberg: Vielen Dank für das Interview!
Juli Sing: Vielen Dank für die Möglichkeit über meine Ausstellung in Erlangen sprechen zu können.
Alle Abbildungen © Juli Sing
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Besucherinformationen zur Ausstellung im Kunstverein Erlangen
Adresse: Neue Galerie des KVE, Hauptstraße 72, 91054 Erlangen
Ausstellungsdauer: 2. Juni bis 25. Juni 2016
Öffnungszeiten: Dienstag, Mittwoch, Freitag: 15 bis 18 Uhr
Donnerstag: 15 bis 19 Uhr
Samstag: 11 bis 14 Uhr
Sonntag, Feiertag, Montag geschlossen
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